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SanssouciNachschlag

■ Nummernrevue aus 40 Jahren DDR im Künstlerclub „Möwe“

Massen standen vor dem Künstlerclub „Die Möwe“. Am Einlaß empörte sich ein blöder Westler, daß man mehr Leute eingelassen hätte, als Plätze da waren. Von „Marktwirtschaft“ hätte man wohl noch nichts gehört, polterte er und wollte sein Geld zurückhaben, wenn er keinen Stuhl bekommen würde. Aufgeregt wurde für Abhilfe gesorgt; dann konnten Rita Feldmeier, Stefan Eichberg und Hans-Jochen Röhrig vom Hans-Otto-Theater in Potsdam mit ihrem „heiter-ironischen Programm mit Erlesenem aus 40 Jahren DDR“ beginnen.

Still inbrünstig erklang noch einmal: „Auferstanden aus Ruinen“ in dem holzgetäfelten Saal des Clubs, dessen Zukunft immer noch nicht so ganz gesichert ist, denn das Haus in der Luisenstraße gehört Privatleuten, dem „harten Flügel“ der von Bülows (Loriot). Vor der Losung „Land unserer Liebe“ saßen die (hervorragenden) SchauspielerInnen und wechselten einander ab. Zitate aus dem „Schwarzen Kanal“ trafen auf vertrauliche Weisungen zur Volkskammerwahl von 1950, Meldungen freundlicher und feindlicher Presseorgane wurden verlesen, auf pathetische Stalin-Gedichte folgten Resoz-Witze. Die lustigen „Losungen aus den Jahren des schweren Anfangs“ – „Jeder Bauer deckt eine Sau mehr“ oder: „Frauen und Mädchen – ran im Wettbewerb von Mann zu Mann!“ – wurden mit dem bedrückenden Protokoll der Anwerbung eines Stasi-Informanten konterkariert. Imponierend durchgedreht war ein Telefongespräch zwischen Honecker und Helmut Schmidt. Ab und an eilte jemand ans hübsch mit einer SED-Fahne drapierte Rednerpult und verlas die Selbstkritik von Heiner Müller und seinen SchauspielerInnen, in der sie bekannten, nun, nach den Belehrungen der Partei, den antikommunistischen Charakter der „Umsiedlerin“ erkannt zu haben. In einer der Glanznummern der O-Ton-Revue verpflichtete sich eine authentisch leiernde Konsum-Verkaufsleiterin „dem Beispiel meiner sowjetischen Kollegin Rybakowa folgend, für eine Erhöhung der Verkaufskultur in meiner Verkaufsstelle zu sorgen“. Zwischendurch wurde viel gesungen: „Pionier zu sein fetzt ein.“ Unwillkürlich mußte man bei einer Strophe („Wir haben ein Recht darauf, dich zu erkennen...“) des vielleicht bekanntesten Agit-Prop-Schlagers – „Sag mir, wo du stehst“ – an Bärbel Bohley denken.

Während für Westgruppen wie die unsägliche Hamburger „Liedertafel Margot Honecker“ das realsozialistische Liedgut vor allem in Trash oder Pfadfinderliedern besteht, ist es für die SchauspielerInnen des Hans-Otto-Theaters Melodie eines gelebten Lebens. So gewinnt es im Vortrag an echtem Gefühl – es verweist ja auf anderes –, obgleich es neben der unglaublich beklemmenden Diktion der DDR-Sprache steht. Detlef Kuhlbrodt

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