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SanssouciNachschlag

■ „En la raya“ – Straßentheater aus Kolumbien

„En la raya“ von der Gruppe La Candelaria Foto: Elke Krüger

In Kolumbien nennt man sie desechables, die Wegwerfbaren. Die mit diesem Wort zum Müll der Gesellschaft Gestempelten leben auf der Straße. In „En la raya“ von der kolumbianischen Gruppe La Candelaria sind diese Randexistenzen die Protagonisten. Ein Sozialprojekt hat sie in einer schäbigen Turnhalle zusammengeführt. Ein Theaterstück soll eingeprobt werden, Garcia Márquez Roman „Chronik eines angekündigten Todes“ soll dabei Grundlage sein. Zum sozial-theatralen Experiment ist extra ein deutscher Regisseur eingeflogen worden. Doch der taucht niemals auf. Wie auf Godot wartet die zusammengewürfelte Gesellschaft auf seine Ankunft. Der rührig-hilflose Regieassistent versucht eine Probe zustandezubringen. Immer wieder werden einzelne Szenen angespielt, immer wieder müssen sie abgebrochen werden, weil einer ausschert. Gewalt, das Grundthema in Márquez' Roman, beherrscht auch die alltägliche Wirklichkeit derjenigen, die sich spielerisch damit auseinandersetzen sollen. Die Wirklichkeit holt das Spiel ein. Theater ist in einem unmenschlichen gesellschaftlichen Rahmen nicht möglich.

Diese Koordinaten klingen nach Agitprop-Theater der direkten Art, aber La Candelaria macht alles andere als dies. Da stehen Figuren auf der Bühne, die nie verhehlen, Theaterfiguren zu sein. Dennoch sind es keine Abziehbilder. Mit schier unglaublicher Intensität werden da Menschen gezeichnet, die von ihren Lebensumständen verkrüppelt wurden. Sie sind tragisch und komisch zugleich. La Candelaria bildet die Wirklichkeit nicht eins zu eins ab. Die Aktion, die die Handlung mehr trägt als der Text, wird immer gebrochen. Einfache, wortlos-poetische Theaterbilder mischen sich auf grandiose Weise mit der knallharten Realität der Protagonisten. Bei der Berliner Premiere im Haus der Kulturen der Welt beendeten Standing Ovations einen außergewöhnlichen Abend. Gerd Hartmann

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