Sanssouci: Nachschlag
■ Possierlich: "Die Maske des Roten Todes" des Orph-Theaters
Ein wohlgerundeter, quasi nackter Männerarsch blättert sich aus dem Tutu-Vorhangfetzen. Die Präsentation hat es in sich, die Rundungen auch. Fünf Personen knien und stehen starr und anbetungsvoll davor, das knackige Teil wird gestreichelt und geküßt. Kurz zuvor waren die Berauschten noch Figuren eines menuetthaften Maskeradenspiels. Dem Stakkato dieser Schritte geben die malerisch morbiden Gewänder Farbe und melancholischen Fluß, selbst die stilisierte Ritterrüstung und das Kettenhemd-Imitat leben von einer rauchigen Zartheit. In dieser höfischen Maskerade, der wir zusehen dürfen, spielen sie Personen der Artussage, die sich possierlich im Bühnenkäfig bewegen. Immer wieder jedoch fallen sie aus dem Reigen und verlieren die Contenance, sie werden roh, gewalttätig oder lüstern. Um solch eine Szene handelt es sich bei der Entblätterung des Allerwertesten, der für wenige Momente zum Gral der Ritter und ihrer Fräuleins zu werden scheint. Doch die Truppe um Thomas Roth weiß, daß Wahrheit und Gral tiefer verborgen liegen – der Arsch ist mithin nicht mehr als ein Fetisch, das Stück hingegen ein billiger Abglanz.
Seit rund fünf Jahren betreibt das Orph-Theater theatralische Gralschürfungen, immer ging es um Bilder der Wahrheit, die mit exzessiver Körperarbeit gesucht wurden. Im ihrem Stück „Die Maske des Roten Todes“ nach Edgar Allan Poe beschreibt die Gruppe nun bildhaft die Abschottung eines Adelsclans vor der Pest, ihr Zeitvertreib ist die beschriebene Maskerade. Gesellschaftliche Ab- und Ausgrenzung steht im Visier der Orph-Kritik. Aber wie? Zugegeben: Die Szenen sind in wirkungsvollstes Ambiente eingebettet. Die Bühne ist ein Bretterkäfig. Wie die Affen schielen die ZuschauerInnen auf die wundersame Welt der Orphler, betörend schwirren die Klänge durch den Raum und geben der feuchten Kälte des Wasserturm-Unterbaus etwas Bauchiges. Das sieht man vielleicht fünfzehn Minuten staunend, später gewinnt ab und an eine kleine Nebenhandlung unsere Aufmerksamkeit – doch dann, dann möchte man dem bauchtherapeutischen Mysterienspiel mit stark christlicher Färbung entfliehen. Zu emphatisch werden Sünden bekannt und gebüßt oder wird um Verzeihung gefleht, schließlich fahren Leiter und Lichtstrahl vom Himmel: die Pest, eine Strafe Gottes?
Zu larmoyant wabert das Ensemble auf seinem Selbsterfahrungstrip konzeptlos durch den Raum, jede/r darf einen Orgasmus he(u)cheln und irgendwie ihren/seinen Zuckungen nachhängen – aber was geht uns das an? Offensichtlich nagt Müdigkeit und Zerfall an der Gruppe, die früher wenigstens ihren Kopf im Bauch hatte. Dieses Mal leider ging's körpergeographisch noch tiefer: der Unterleib allein im Zentrum. Fad und schad drum. Petra Brändle
Noch am 30. 11. und 1.–3. 12. um 21 Uhr im Wasserturm (Alter Speicher), Prenzlauer Berg
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