Sanssouci: Vorschlag
■ „Das Geräusch“ – eine theatralische Versuchsanordnung
Weil ein Bühnenbildner ja nicht bloß Bilder erfindet, sondern Räume konstruiert, ist es gar nicht so abwegig, wenn ihm eines Tages der Gedanke kommt, er müsse mal den Wurzeln seiner Kunst in der Naturwissenschaft auf den Grund gehen.
Der Bühnenbildner, von dem die Rede ist, heißt Hartmut Meyer und ist dem aufmerksamen Theatergänger hauptsächlich als Mitarbeiter von Frank Castorf ein Begriff. „Das Geräusch“ heißt seine kleine Etüde, die derzeit im dritten Stock der Volksbühne zu sehen ist und fachmännisch im naturwissenschaftlichen Jargon mit „Versuchsanordnung“ untertitelt ist.
„Hören Sie?“ fragt Mann A (Peter René Lüdicke) den Mann B (Hendrik Anst). Aber ob da wirklich was zu hören ist, bleibt ungeklärt. Die beiden Herren haben ohnehin bald Wichtigeres zu besprechen und parlieren in aberwitzigem Fachchinesisch über virtuelle Partikel, Quantenphysik und Relativitätstheorie. Sie diskutieren so heftig, daß irgendwann Mann A das Hemd unter dem Jackett zu qualmen beginnt. Was die meterhoch aufgetürmten Gedankenberge eigentlich uns sagen wollen, bleibt ziemlich undurchsichtig. Ist aber eh egal, denn als C in dem weißen Bühnenkasten auftaucht, ist die Ordnung des Diskurses sowieso dahin. Denn C (Astrid Meyerfeldt) ist eine Frau.
Jetzt ist von Zufall und Unberechenbarkeit die Rede. Der unversehens auf der Bühne ausgeleerte Inhalt ihrer Handtasche bebildert anschaulich die Chaostheorie und tut sein übriges, die Herren zu verwirren. Auch die Frage nach dem geheimnisvollen Geräusch gewinnt dann eine völlig neue Dimension. Handelt es sich dabei etwa um das unbeholfene Schmatzen, das beim Küssen zuweilen zu hören ist? Mann A, der uns darüber Aufschluß geben könnte, hat sich aber leider schon in selbstmörderischer Absicht mit gellendem Geschrei aus dem Fenster gestürzt.
Nach einer knappen Stunde tritt dann die eigentliche Heldin des Abends auf den Plan – ein Versuchskaninchen, ein echtes. Es vereint die verwirrten Parteien, sogar die Toten stehen wieder auf. Mit Karotten bewaffnet stehen sie um das verängstigte Tier herum, das jede Nahrungsaufnahme verweigert. Versuch beendet. Verlauf mäßig komisch. Ergebnis ungewiß. Esther Slevogt
Vom 19.–21.12. in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
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