Sanssouci: Nachschlag
■ "Seht doch, daß ich traurig bin" im Theater Fürst Oblomov / Nachschlag / Knut Koch im Boudoir: Intimität, öffentlich verdoppelt
Eine Dame im goldschimmernden Abendkleid weht in nasser Dunkelheit von den S-Bahnbögen am Hackeschen Markt in Richtung Oranienburger Straße und sucht ein Theater, das sie nicht findet. Seit einem guten halben Jahr residiert das Theater Fürst Oblomov recht verborgen in einem alten Eckhaus in der Neuen Promenade. Ich geleite die goldbestückte Dame durchs Treppenhaus in den „Salon“ des Theaters. Hier stehen Samoware auf alten Kommoden, Plüschsofas, Gartenbänke, Wiesenbilder in Öl an den Wänden, in der Ecke eine Mahagonibar.
„Seht doch, daß ich traurig bin“, ist der heutige Abend überschrieben und „Notizen einer verlorenen Generation“. Von eben dieser sitzen zwei Jungen und zwei Mädchen aus Ost und West auf der Bühne und lesen aus ihren Tagebüchern. Sie handeln von Langeweile, Ziellosigkeit, Haß auf die Eltern, Sucht nach Erleben, Angst und immer wieder Langeweile. Weil die Probleme so allgemein sind, wirkt die Ossi-Wessi-Sorge, die zwischendurch anklingt, etwas konstruiert und lehrhaft. (Lisa, Ostberlin: „Wir können nicht die ganze Geschichte in den Müll werfen, weil Zone heute irgendwie peinlich ist.“)
Scharf unterbrochen werden die Notizen immer wieder durch Videoeinblendungen: Mike hat seine Mutter umgebracht und erzählt in kurzen Schnitten von seiner Zeit im (DDR-)Gefängnis und seinem Leben danach, das ihn als Techniker an dieses Theater brachte. Daneben steht die Geschichte Christines, die, heroinabhängig geworden, ihr Geld auf dem Strich verdienen mußte. Die große Stärke dieser Videos ist ihre „Authentizität“, das scheinbar unvorbereitet einfache Erzählen zwischen nackten Betonwänden, im verlassenen Kalkwerk, mit so lauten Windgeräuschen, daß man die Stimmen kaum noch hört.
Dann Theater: „Burning Love“ von Fitzgerald Kusz, eigentlich einfach ein Beziehungsdrama zweier junger Menschen, die sich fanden, ohne sich gesucht zu haben, unter dem Leben leiden, aneinander vorbeireden und sich wieder verlieren. Daß auch dies zum Ossi-Wessi-Drama wird, ist fast schon nervig, es paßt einfach nicht hinein, wird dem Stück en passant aufgepfropft und stört durch seine Konstruiertheit nur den Lauf des Stückes, das von Frank Schütze (Ossi-Andi) und Claudia Ehrke (Wessi- Andschi) so gut auf die Bühne gebracht wird.
Am Ende dieser drei Teile bleibt die Frage nach dem Zusammenhang. Eine Talkrunde mit Christine und Mike aus den Videos soll's klären. Vor riesig bunten Graffiti („Just say ,No‘ to drugs“ – ist's das?) geht es zunächst um Vergewaltigung, die Rolle der Frau, Moral und Politik. Dann aber die entscheidende Frage des Talkmasters an Christine: „Wie glaubst du, bist du da reingekommen?“ – „Zufall, weiter nichts.“ – „Hast du dich nicht wiedererkannt, in den Tagebüchern, dem Theaterstück?“ – „Doch. Manches hätte von mir sein können.“ Oder auch nicht. Die beschworene Linie von den Tagebüchern der Jugendlichen über das Beziehungsdrama bis zu Muttermord, Heroinsucht und Prostitution bleibt vage und zweifelhaft. Volker Weidemann
Theater Fürst Oblomov, Neue Promenade 6, Mitte. Weitere Aufführungen heute, 20 Uhr; 22.12., 18 Uhr; 12.1., 18 Uhr.
NachschlagKnut Koch im Boudoir: Intimität, öffentlich verdoppelt
Während die „normale“ männliche Heterosexualität lifestylemäßig immer outer wird, boomt die Warenwelt randständiger Sexualitäten. Die Lüste von Schwulen, Lesben oder Sadomasochisten gelten als progressiv, sie zu bekennen und darzustellen als ein aufklärerischer Akt der Befreiung. Im Dienste dieser Art von Aufklärung, die das Intime meint, in der Öffentlichkeit verdoppeln zu müssen, um es als Ware handhabbar zu machen (egal ob es sich um luftige Erotik-Shops für emanzipierte Frauen, schmuddelige Pornoshops für Wichser oder debile Sexartikel in Zitty handelt), steht auch Knut Koch.
Der derzeit am Berliner Ensemble engagierte Schauspieler und Autor von „Barfuß als Prinz“, „das sein Doppelleben als Künstler und Masochist beschreibt“, stellte neulich nachts in seiner Show „Arsch und Boudoir“ in der Galerie Boudoir „seine schamlose Lust“ und „deren erotische Traumwelt“ zur Schau und versuchte, die Innenwelt sadomasochistischer Lüste sichtbar zu machen. Das traf durchaus auf reges Interesse: bis in den Hinterhof stapelten sich die ziemlich normal aussehenden ZuschauerInnen und warteten im strömenden Regen stundenlang auf Einlaß. Im Boudoir warteten sie dann noch einmal, bis Knut Koch – Typ freundlicher Masochist um die Vierzig mit ein bißchen Hüftspeck – im schwarzen Leder endlich auf den Laufsteg trat, um seiner Show ein paar politisch-korrekte Allgemeinplätze voranzuschicken: „Wirkliche Gewalt ist widerlich – Gewalt als Spiel, das befreit“, findet er und „will keine Masken mehr“.
Die Gestalten seiner Phantasien kamen sozusagen unplugged daher: Mama, Papa, nackte Frauen, Männer. Ein Jüngling, nur mit Frackoberteil bekleidet, führte sich einen Gummischwanz ein und spielte pathetisch dazu Cello. Knut Koch las ein paar Kitschtexte oder lag auf dem Boden, sein Gesicht zwischen den Beinen einer nackten Frau und starrte gebannt auf ihr Geschlecht. Jemand kippte Milch über die beiden, die Frau pißte auf sein Gesicht. Zwei Männer und eine Frau lagen sich in den Armen. Eine Frau sagte: „Ich liebe dich, weil du ein guter Mensch bist.“ Es war alles ein bißchen peinlich, vor allem weil es genau die Szenen waren, die man erwartet hatte.
Wahrscheinlich wollte Knut „Isolierungen aufbrechen“, „Grenzen überschreiten“, „über Erlittenes sprechen“, ein bißchen „Liebe propagieren“. Ehrenvoll, nur funktionierte das als Schauspiel nicht. Vielleicht wollte er aber auch nur eine teilnahmslos-betretene Öffentlichkeit zum Teil seiner masochistischen Lust machen und die Show zu einer legitimen Verlängerung seiner verbotenen exhibitionistischen Knabenlüste. Das wäre dann ziemlich genial gewesen. Detlef Kuhlbrodt
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