Sanssouci: Nachschlag
■ Keinesfalls Fasching und wenn doch, so nur mit Ratschlägen
An Fasching denkt in Berlin sowieso niemand. In dieser dauerkostümierten Stadt karnevalisieren? Das erscheint doch abwegig. Ich weiß nicht einmal, ob hier Fasching gefeiert wird. Stellen Sie sich einmal vor, maskiert in die U-Bahn zu steigen: Entweder haben sie sich fein gemacht und werden von haßerfüllten autonomen Blicken als Yuppi fixiert – fahre nicht über den Rosa-Luxemburg Platz, steige nicht Eberswalder Straße aus –, oder sie sind in eine eher ärmliche Rolle geschlüpft. Dann senken die Mitfahrenden abrupt die Blicke: Ich will keine Obdachlosenzeitung. Alle dazwischenliegenden Varianten werden mit geschult milder Verzweiflung quittiert. Auf Fasching kommt auf jeden Fall niemand, wie immer Sie auch angezogen seien mögen.
Sollten Sie sich allen Ratschlägen zum Trotz dennoch kostümiert auf Kostümfeste begeben, beachten Sie wenigstens einige Ratschläge. Diese Erfahrungen habe ich im übrigen in München gesammelt. Hier kann man unbeschadet Fasching feiern, denn hier gilt das umgedrehte Syndrom, daß in faschingsfreien Zeiten die Mitfahrenden nachdenklich ihre Alltagsstaffage betrachten. Auf lederhosenfreie Bekleidungsmaßnahmen kommt in München ja bekanntlich niemand.
In München also – wo ich aufgewachsen bin, um das klarzustellen – erlebte ich vor einigen Jahren ein echtes Faschingsfest. Ein Besuch bei Freunden, ich wurde auf ein Fest mitgenommen, bei dem sich viele alte Bekannte versammelten. Nicht sehr originell war ich als amerikanische Hausfrau mit den obligatorischen Lockenwicklern, Morgenmantel und dicker Gurkengesichtsmaske ausstaffiert. Machen Sie so etwas niemals! Sie sehen nach vielen Jahren Menschen, die ihnen einst am Herzen gelegen haben. Sie stecken in einer unmöglichen Aufmachung. Sie werden wärmstens mit den Worten begrüßt: Nein, das gibt es doch nicht, also wirklich, das freut mich ja, also nein, du hast dich gar nicht verändert! Unter der Gurkenmaske verzerren sich die Gesichtszüge. Gar nicht verändert! Sie fühlen sich gekränkt, zurückgewiesen, ja einsam in ihrer Maske. Und das alles wegen Fasching.
Aber nicht genug. Mit einem schrillen „Originell!“ kämpfte sich ein feenartiges Geschöpf durch die Masse, um einige Zentimeter vor mir zurückzufahren. Allein diese Stimmlage war einer der Gründe, München nachhaltig den Rücken zuzukehren. Auf dem fassungslosen Gesicht, sah man die verzweifelte Frage: Wahrheit oder Maske? Hier handelte es sich schlicht um Verwechslung aufgrund starker Kurzsichtigkeit – Schneewittchen mit Brille hätte zugegebenermaßen noch alberner ausgesehen. Faschingsbedingte brillenlose Brillenträger können Sie im übrigen leicht erkennen. Sie sprechen nicht nur zu laut, um das optische Defizit durch akustischen Tremor zu kompensieren, dazu blicken sie ziellos in die Festmenge und halten in Permanenz ihre Mundwinkel auf Lächellinie. Diese signalisiert: schön, gerade dich hier zu treffen. Das ist nicht nur in München so. Prinzipiell gilt: Sie tun sich keinen Gefallen, auf Faschingsfeste zu gehen. An keinem Ort, nirgends. Glauben Sie mir das. Caroline Roeder
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