Sanssouci: Nachschlag
■ „Das unglaubliche Leben des George Villabour“ – Achim Konejung in der „Bar jeder Vernunft“
Die ist mir inzwischen ein Graus, die Kabarettistenmanier, vom Pult herunter den politischen oder wissenschaftlichen Sprachhülsengestus zu ironisieren. Sie setzen ganz unerwartete Pausen, verknüpfen Worte zu einer Buchstabensuppe, galoppieren kurz, um vernehmlich zu retardieren und jodeln mit der Stimme auf und ab. Natürlich vergessen sie nicht, schwer bedeutungsvoll über den Rand ihrer randlosen Brille zu schauen. Manchmal dürfen sie auch den Faden verlieren, was dann ein Kauderwelsch von Ähems und Hüstels und Räuspers zur Folge hat. Das Publikum lacht besonders an diesen Stellen dankbar und treu. In der „Bar jeder Vernunft“ ist es ein bißchen anders, hier lachen die Menschen ab und an vornehm zurückhaltend. Nur ich, ich kann mal wieder nicht lachen. Dabei ist Achim Konejung durchaus ... – aber das muß ich ihm wohl nicht mehr extra bescheinigen, denn er ist ja „Träger des deutschen Kleinkunstpreises“ und bekannt durch Funk und Fernsehen. Aber genau das ist es wahrscheinlich, was so öde wirkt: Vieles, was Konejung an diesem Abend bringt, ist aus der Kabarettistenretorte. Routiniert baut er Charakterklischees, spielt den wirren Tattergreis und den österreichisch nuschelnden Trunkenbold, das kommt immer gut. Eine andere Type spricht wie Reich-Ranicki, offensichtlich, weil Konejung das sowieso schon einstudiert hat. 14 Rollen bringt der Kabarettist so über die Bühne, Zeitzeugen des „unglaublichen“ Lebens des George Villabour.
Sie kennen Villabour nicht? Müssen Sie auch nicht, denn es handelt sich hier um den größten unbekannten Künstler, dessen Verdienst bekannt zu machen eine Stiftung angetreten ist, die Konejung engagiert hat. Villabour, das sei gesagt, war ein Allroundtalent. Wir erfahren: In jungen Jahren schrieb er das Manifest „Mein Nein ist das Ja zum Nichts des Ganzen“ und außerdem das Songbook „Rote Noten“ mit dem Gassenhauer „Küß mich, Revoluzzer“. Diese Kostprobe war köstlich. Villabour, das ist auch der Schöpfer der ersten monochromen Bilder (gemeinerweise übermalt von Max Ernst), er prügelt sich mit Brecht und beschimpft ihn als Barrikadengoethe, war dabei, als Horváth 1938 in Budapest von einem vom Blitz getroffenen Baum erschlagen wurde (tatsächlich war's ein Ast in Paris). Und er komponierte ein „Finale non scherzo“ aus Bombenknallern und Gewehrsalven, natürlich antimilitärischen Geistes. So unglaublich wie das Leben selbst ist diese Story. Knapp daneben und dennoch im Bereich des Möglichen, das ist das Amüsante daran. Doch wer so etwas kann, hat es eigentlich nicht nötig, sich auf eingefahrenen Kabarettistenschienen zu bewegen. Petra Brändle
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen