Sanssouci: Vorschlag
■ 25 Kapellen rasen in fünf Stunden in den Mai – Bands United im Tempodrom, noch im Tiergarten
Bevor wir hier zur Tagesordnung übergehen: Das Tempodrom wird irgendwann am Anhalter Bahnhof sein Solarzelt aufschlagen, gegen den Widerstand der „politischen Entscheidungsträger“ bei den Kreuzberger Grünen. Denen haben wir zu verdanken, daß das neue Tempodrom nicht auf der öden Fläche (sorry, taz-Fußballer) hinter der Portalruine stehen wird, auf der man früher bei Klassenfahrten das rätselhafte „In die Ferne“ lesen konnte, sondern auf den bewachsenen Bahngleisen dahinter. Eine Idee der CDU, gedacht als Rache an der dortigen „Spontanvegetation“ und ihren Fans bei den Grünen, vermutlich. Den Grünen ist nur noch mit dem dummkonservativen Baumpaten Ben Wargin beizukommen, sie sollten sich überlegen, wieviel Ablaß sie bezahlen wollen für die geopferte Spontivegetation. Überweisungen an das Ökotempodrom, denn das will erst einmal finanziert sein.
BVG und die Schwarzfahrer Foto: promo
Noch steht es aber gemütlich im Tiergarten herum. An diesem Wochenende findet zum vierten Mal das Mammutkonzert Bands United statt, organisiert vom Berliner Band Syndikat. Statt 30 Bands in sechs Stunden wie 1994 rasen jetzt 25 in fünf Stunden in den 1. Mai. Eine Idee, genial und schwachsinnig zugleich. Keine der Gruppen hat länger als eine Viertelstunde Zeit für ihren Auftritt, das reicht bei vielen nicht, um Ladehemmungen und Nervosität loszuwerden. Wie bei einem Formel-1-Rennen sind Boxenstops möglichst zu vermeiden. Wer keine Techniker im Team hat, die in höchstens sechs Sekunden eine Gitarre stimmen können, fällt gnadenlos zurück und kann sich am besten gleich in die Fangzäune vorm Publikum werfen. Vorteil fürs Publikum bei dieser höllischen Geschwindigkeit: Gefallen „Andy & die Anitas“ nicht, weil sie „zu dir gemein sein“ wollen, geht man einfach mal aufs Klo. Nach dem Schlangestehen spielt vielleicht gerade „Bindemittel“ die letzten „sparsam instrumentierten Gesangspassagen mit harten Metalriffs“. Ist das nichts? Dann schnell wieder raus, anstellen um ein Bier zu kriegen, Freunde treffen und mit Absicht „Blues Power“ verpassen, denn die machen nach eigener Aussage „seit ewig: Blues Blues Blues.“
Schön Blond Foto: promo
Die völlige Aufregung herrscht bei Bands United im Backstagebereich hinter dem Zelt. Ein alter Zirkuswagen dient als Schmink- und Verkleideraum. Während sich die fünf Frauen von „Schön Blond“ noch die Lippen rot nachziehen, klopfen schon die Krachmacher von „Atari Teenage Riot“ an der Tür, um sich die obligaten Wollmützen vorm Spiegel zurechtzurücken. Alle Musiker treten übrigens ohne Gage auf. Im letzten Jahr ging (Grüne aufgepaßt!) der Überschuß von 8.000 Mark ans neue Tempodrom. In diesem Jahr spielen die 25 Bands für das Lighthouse der Berliner Aids-Hilfe.
Aber schon geht das Gerangel hinter der Bühne weiter: irgendwer hat seinen Bass zu Hause vergessen, vielleicht der Herr von „Disaster Area“ („Deutschlands älteste Skatecore Band“). Er leiht sich beim Kollegen von den „Crunchmuttas“ („Soulful Metal“) einen, „ist ja nur für 'ne Viertelstunde“, wirft den dann aber im Eifer des Gefechts ins Publikum. Als er zurück hinter die Bühne kommt, gibt's was hinter die Ohren, der Bandbus von „Jazz Indeed“ brettert durch die Menge und trennt die Kontrahenten. Um bloß keine Zeit zu verlieren, wird schnell das „Madonna Hip Hop Massaker“ ins Rennen geworfen und zieht seine „Super-Pop-Peep-Show inclusive le grand Massaker“ ab. Zu den kurzen Auftritten fällt mir noch ein schön blöder Vergleich ein, den ich aber jetzt nicht hinschreibe, weil er mir sowieso gestrichen würde. Sie können sich schon denken, worum es darin gehen sollte. Andreas Becker
Bands United, 25 Bands für 25 Mark, 30. April, 19 Uhr, Tempodrom, In den Zelten, Tiergarten
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