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SanssouciVorschlag

■ Immer etwas mehr: The Notwist spielen auf der Insel / Nachschlag * Die erste Steinreich-Party im Tempodrom

Die Geschichte von den Verlierern ging bisher so: The Notwist wurden in Weilheim, einem 10.000-Seelen-Kaff in der Nähe von München, gegründet. Die beiden Brüder Markus und Micha Acher nebst Martin Messerschmidt am Schlagzeug spielten jaulend überquellenden Folkcore, schon lange vor Dinosaur Jr.: Sänger Markus Acher flennte ebenso herzerweichend wie J. Mascis, ihre Gitarren boten eine ähnlich fantastische, hysterische Fülle; und überhaupt kamen sie mindestens genauso melancholisch daher wie Dinosaur Jr. Nur war Weilheim leider der falsche Ort zur falschen Zeit, und die Gebrüder Acher mußten damals sogar noch nebenberuflich in einer heimischen Dixieland- Kapelle spielen, um sich die Gitarrensaiten zu verdienen.

Doch sie sind angetreten, der fehlenden Gerechtigkeit in der Geschichte etwas auf den Zahn zu fühlen. Und sie sind zäh. Und Notwist hatten immer auch mehr zu bieten als die übermächtigen Amerikaner: verworrene Songstrukturen, weil der Jazz ein Steckenpferd ist, und alle möglichen Metal-Parts von Thrash bis Doom, weil das eben auch ein Einfluß war. Ganz in dem Sinne drohten sie auch an: „Und irgendwann werden wir die nächste Platte aufnehmen, die sicher wieder anders klingen wird. Denn zur Zeit hören wir ziemlich viel Jazz.“ Die Drohung haben sie wahr gemacht, aber nicht mit einer Jazz-Platte, sondern einem Pop-Album. „Kein Metal mehr, keine schnellen Hardcore- Sachen“, geben sie zu. Statt dessen finden sich plötzlich Samples und Drumcomputer, Kontrabaß und Orgel und sogar eine Klarinette. Der klassische Rock-Trio-Zusammenhang wird, wenn nicht aufgelöst, so doch aufgebrochen. Das Ergebnis sind reduziert dahinfriemelnde Popstücke, die unendlich geduldig einlullen, bevor sie urplötzlich einen kleinen Lärm- oder Rhythmustrick aus dem Ärmel schütteln. Die technischen Spielereien sind live natürlich nur schwer zu reproduzieren, und spätestens dann werden The Notwist wohl wieder zur vielleicht momentan besten deutschen Rockband. Thomas Winkler

The Notwist Foto: Community

Heute, auf der Insel, Alt-Treptow 7, Treptow

NachschlagDie erste Steinreich-Party im Tempodrom

In zwei Jahren ist es soweit: Das Tempodrom muß dem Kanzler weichen und seine Zelte im Tiergarten abbrechen. Kein Grund zur Panik, denn ein neuer und vielleicht besserer Standort ist längst gefunden: Ganz in der Nähe seines Original-Standortes, unweit des Potsdamer Platzes, auf dem Gelände am Anhalter Bahnhof soll das neue Gebäude in ökologischer Bauweise errichtet werden. Der Haken: Die Finanzen reichen noch nicht.

Mit dem Erwerb eines Ziegelsteines für 100 Mark – Rentner, Schüler und Behinderte erhalten ihn zum halben Preis – kann das Publikum helfen. Jeder Stein nimmt quasi als Los an einer der großen Tombolas teil, die auf den sechs Steinreich-Parties im Verlauf des Sommers veranstaltet werden. Dabei locken nicht nur schicke Sachen, die jeder gerne hätte, wie beispielsweise eine neue Waschmaschine, eine Flugreise nach Buenos Aires oder die eine oder andere Konzertkarte. So manch ein Preis verdient eher das Prädikat „zweifelhaft“. Denn der Gewinn einer Fußmassage wäre schon einigermaßen enttäuschend, und um das Kostüm von Lotti Huber würde ich mich ebenfalls nicht reißen. Auch soll Otto Sander mir persönlich nicht unbedingt aus dem Werk von Ringelnatz vorlesen. Aber die Ideen sind anscheinend abgefahren genug, um Erfolg zu versprechen. Denn bereits im Vorfeld zur ersten Party wurden 700 Steine unter das Volk gebracht, und am vergangenen Freitag kamen noch einmal rund 130 dazu.

Das Rahmenprogramm der Veranstaltung war so ausgerichtet, daß es ganzen Familien gefallen könnte. Es gab Beiträge von den Lemonbabies, der Trapezkünstlerin Fortuna, des Trios Blamage und der etwas schlappen Comedy-Nummer eines Mahatma Gaudi und vieles mehr. Ebenfalls gewöhnungsbedürftig: die beiden Moderatoren der Show, deren mehr als flachwitzige Publikumsanimation sich mindestens zwei Stufen unterhalb dessen bewegt, was Helge Schneider oder Harald Schmidt manchmal verzapfen. So hieß es zu einer Gewinnerin des Abends, als sei sie mit zwei Tickets für ein Elton-John-Konzert nicht schon genug gestraft gewesen: „Zieh dir lieber deine Jacke an, dann siehst du besser aus!“ Ob sie vielleicht schuld daran waren, daß so manch ein Gewinner bei Aufruf seines Namens gar nicht erst auf die Bühne kam, um seinen Preis abzuholen?

Nina Hagen, das gute Berliner Kind, wäre auch gerne mit von der Partie gewesen, konnte jedoch wegen eines schlimmen Zahns nicht kommen. Statt dessen schickte sie eine Videoaufzeichnung und animierte von der Leinwand: „Kauft Steine, Leute! Denn das Tempodrom ist unsere Heimat!“ Ihren Aufruf sollte man sich diesmal ruhig zu Herzen nehmen, schließlich dient alles einem guten Zweck. Kirsten Niemann

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