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SanssouciNachschlag

■ Operette statt „Dreigroschenoper“ im DT, mit ironisierten Männerbünden und dergl.

Horst Ziethen horcht im Deutschen Theater als Säge-Robert operettenreif in ein gräuliches Bühnen-London von Volker Pfüller hinein – ein Lauscher im Tunnel, der hoffentlich kein Sinnbild für die ganze Spielzeit daselbst wird Foto: David Baltzer/Sequenz

Am 31. August 1928 fand im Theater am Schiffbauerdamm die Uraufführung der „Dreigroschenoper“ von Brecht/Weill statt – 200 Jahre nach der Uraufführung des englischen Vorbilds „The Beggar's Opera“ von Gay/Pepusch aus dem Jahr 1728. Damals war das Schiffbauerdamm-Theater noch nicht das Brecht- Theater, und ursprünglich hatte Brecht das von Elisabeth Hauptmann entdeckte und übersetzte Stück für Max Reinhardts Deutsches Theater bearbeitet. Doch dort traute man dem jungen Dramatiker keinen Kassenerfolg zu. Statt dessen griff Ernst Josef Aufricht zu, der Direktor des Theaters am Schiffbauerdamm. Die „Dreigroschenoper“ wurde ein Welterfolg. All das, worauf es Brecht gar nicht so sehr ankam und was er mit seiner Opernparodie verspotten wollte, „die romantische Handlung, die Liebesgeschichte, das Musikalische“, trug maßgeblich zu diesem Erfolg bei. Ein Dilemma für jede Inszenierung.

Die ursprüngliche „Beggar's Opera“ von John Gay war nicht etwa eine Oper über Bettler (auch wenn der Bettlerkönig Peachum darin eine wichtige Rolle spielt), sondern für das Lumpenproletariat. Es hatte für drei Penny das Vergnügen, korrupte Regierungs- und Finanzpraktiken als Gangstermethoden entlarvt zu sehen, musikalisch verpackt als Parodie auf die Opern Händels, die die höheren Kreise goutierten. Alexander Lang, der die „Dreigroschenoper“ in Koproduktion mit den Bregenzer Festspielen nun für das Deutsche Theater inszeniert hat, parodiert die Parodie – er zieht das Stück als Operette durch.

Ein Kunstprodukt, kein Kunststück. Das Orchester Vielharmonie (viele Bläser) sitzt in der Versenkung vor der Bühne und erhält meist von den Schauspielern/Sängern seinen Einsatz. Kleiner Verweis aufs epische Theater Brechts, kleiner Gag im Spiel. Volker Pfüller hat ein gräuliches Bühnenbild entworfen: eine vergrößerte Tunnelröhre mit kreisrunden Gucklöchern von oben. Der Gang öffnet sich nach hinten und gibt den Blick frei auf den Trafalgar Square. Rechts und links der Röhren- oder Tunnelöffnung gehen kleine Treppenstufen ab, über die – als Running Gag – ein amerikanischer Hotelboy mit einem Blumenstrauß flitzt. Der Moritatensänger kommt in der Uniform der Heilsarmee, Peachum und seine Frau sind wie anständige Bürger des viktorianischen England gekleidet. Nur die Hutmode der Damen Peachum erinnert mehr an die Off-Modeschauen der Hackeschen Höfe heute.

Alexander Lang hat sich mit Brecht ans 19. Jahrhundert gehalten. Er verzichtet auch weitgehend aufs Gangster- und Mafiamilieu amerikanischer Spielfilme, aber er wagt es nicht, den Stoff historisch bis ins 18. Jahrhundert zurückzuverfolgen und ihn uns richtig zu entfremden. Er stellt die Verfremdung aus, bis am Ende nur der Gestus bleibt. Der ist nicht neu. Und besonders lustig ist er auch nicht. Zwar macht es Spaß, die Weill-Songs zu hören – die sind einfach schmissig, und einige Schauspieler bzw. Schauspielerinnen machen ihre Sache anständig –, etwa wenn Polly (Johanna Schall) als Jetzt-Mädchen-trau-dich-was auf dem für die Hochzeitsfeier geklauten Rosenholzcembalo kauert, um das Lied der Seeräuber-Jenny vorzutragen und dabei bei jedem Orchestertusch aufgeregt, aber auch voller Begeisterung kiekst.

Aber die pralle Handlung der „Dreigroschenoper“, die derbe Sprache werden zerdehnt, zergliedert, stilisiert, ins Künstliche gesteigert: Ironie ohne Humor, Spott ohne Biß. Da hilft auch nicht, daß Jörg Gudzuhn als Macheath eine ordentliche Knallcharge abgibt: mit den rot glänzenden Lippen und dem ebenso schwarz glänzenden Schnauzer, dem rot eingefärbten Schopf über grauen Schläfen und Nackenhaaren wirkt er wie ein kleiner Vorstadt-Gigolo, der sich affektiert den weißen Schal umbindet oder wie ein Papagei mit den Rockschößen wedelt und dabei den anderen gern die Zunge rausstreckt. Man nimmt ihm zwar sofort die anzügliche Pose ab, mit der er sich einer Umarmung von Polizeichef Tiger Brown entgegenstreckt. Aber auch da wieder – Operette pur: der Männerbund der alten Kriegskameraden wird ironisiert, gerät zur Zote, als Konflikt dramatisiert wird er nicht.

Brecht nannte seine Bearbeitung der „Beggar's Opera“ nicht umsonst eine „Dreigroschenoper“. Auf die politische wie musikalische Kritik der Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft legte er bekanntlich großen Wert. Das Travestie-Element war das Mittel zum Zweck: Kritik und Entwicklung einer Gegenmoral. Daß uns die heute nichts mehr zu sagen hat, scheint Alexander Lang sagen zu wollen. Ja, sagt mal! Nein, sagt jetzt lieber nichts! Sabine Seifert

Nächste Vorstellungen: heute und morgen, 19.30 Uhr, Deutsches Theater, Schumannstraße 13a, Mitte

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