Sanssouci: Vorschlag
■ Schweiß, Bier, Feedback und Noisepop bei "Berlin vs. Potsdam" auf der Treptower Insel der Jugend / Vorschlag i Künstlerhaus Schloß Wiepersdorff in der literaturWerkstatt: Heute: Sandra Kellein und Nicole Müller
Es ist kaum zu glauben, was einigen Leuten so einfällt, wenn die Nacht lang war, alle Gläser leergetrunken wurden und bei der letzten Scrabble-Runde noch ein paar Buchstaben übriggeblieben sind. Statt freundlich die Morgensonne über Potsdam-Rehbrücke zu begrüßen und dann in die Falle zu fallen, gründen sie eine Band mit dem seltsamen Namen Desmond Q. Hirnch – das war vor vier Jahren. Der erste, wohl ähnlich entstandene Albumtitel klingt kaum weniger enigmatisch: „Tomb Denz Fussel“.
Nach eigenen Angaben spielen die vier letzten echten Hippies, die vorher in Bands wie A Present for Barrett, Die Anoraks und Die Rentner aktiv waren, ihren psychedelischen Krach mit dem Elan eines scharfgebackenen Apfelkuchens, wobei sich der Gesang nur geringfügig vom Brunftschrei der Sumpfdrossel unterscheidet. Logisch, daß das Ganze mit selbstgepreßten Vinylscheiben und Samplerbeiträgen auf Trash City Records losging – inzwischen gibt es von der „betrunkensten Band des Ostens“ jedoch mit „Out of Reality Area“ ein weiteres Produkt, das alle jüngst kopflos gewordenen Boys and Girls of Summer mit Deadhead-Sticker am Trabi-Heck von der dunklen Seite des Mondes zurückholen sollte.
Sehr viel straightere Musik macht Herr Aaron Braxley aus Berlin, der eigentlich drei Studenten und eine Studentin ist. Die vier haben schrecklich viel Sonic Youth und ein wenig Dinosaur Jr. gehört und finden auch Redd Kross, Sebadoh und Eric's Trip ganz klasse – mit einem Wort: Rock 'n' Roll trifft Dekonstruktion und karikiert seine eigenen Klischees, die, intelligent zusammengebaut, auf einmal wieder gut hörbaren Noisepop ergeben. Die auf „Score“ und „Shuffle“, den beiden noch nicht vergriffenen Tapes, versammelten Stücke haben manchmal sogar lustige Titel. Was in aller Welt mag ein „Mindblowing non destructable positively thinking alien“ sein?
Etwas weniger intellektuell bearbeiten die drei rabiaten Krachmacher von Slick, ebenfalls aus Berlin, ihre bemitleidenswerten Instrumente. Nahezu klassischer Garagen-Rock, der zeitweise wie eine 1:1-Kopie von Nirvanas „Bleach“-Album klingt und nur ab und an melodische Eigenständigkeit entwickelt, ist das Metier dieses Trios. Ströme von Schweiß, Bier und Feedback werden fließen und – sofern es laut genug ist – glatt vergessen machen, daß wir hier nicht in Seattle sind. Die vierte und bislang unbekannteste Attraktion dieses langen Abends zwischen Punk und Floyd ist Merry B. aus Potsdam, von denen es immerhin schon bald ein neues Demo-Tape und eines Tages eine Single geben soll. Ihr Sound ist lärmend, die Stücke eher schleppend, der Gesang melancholisch. Gunnar Lützow
„Berlin vs. Potsdam“, Teil 2. Mit Aaron Braxley, Slick, Trout, Merry B. und Desmond Q. Hirnch. Heute 20.30 Uhr, Insel der Jugend, Alt-Treptow 6
VorschlagKünstlerhaus Schloß Wiepersdorf in der literaturWERKstatt: Heute: Sandra Kellein und Nicole Müller
„Abrakadabra“ klappern Putzfrau und Seelenklempner auf Unas Textprogramm Alias. Sandra Kellein, die Schöpferin dieser Gestalten, liest heute abend in der literaturWERKstatt. Schwingt ein Text auf einem Ton, macht ihn seine Variation im Stimmlosen zum Zauberspruch. Alles vermischt sich, Metamorphosen vollziehen sich am laufenden Band, und doch verändert sich eigentlich nichts. Ein Krieg bricht in der Ferne aus und geht zu Ende. Einer in Olivgrün hält Mahnwache. Der Titel – „Khaki und federn“ – bricht zusammen und baut sich wieder auf. Es gibt ja die Reset-Taste.
Una, der Erzählerin, ergeht es mit Alias, dem Computer, wie ihrem Freund Kleinod mit seiner Übersetzungsmaschine: „Informationen flitzen hinein und hinaus“, die Speicher sind überfüllt, aber um den Raum zwischen den Textblöcken wegzukriegen, hilft nur ein Witz. Der Sprachfehler der zweijährigen Mara zum Beispiel, die Aphärese: Mara verschluckt den ersten Buchstaben; was sie wiederholt, wird unabdinglich anders. Ein letzter Rest von Stimmgewalt ist in dem Kind beheimatet, das Echo. Der Muttername Laura kehrt aus ihm als Aura wieder. Grausame Fügung, daß die Kleine selbst so zum Ara wird. Doch der Roman, eigentlich nur eine schnöde Erzählung aus dem Berliner Mittelstand, verspricht von nun an Suchbilder: „Irgend jemand, ein Tier oder eine Person, ist immer darin verborgen, er oder es steht auf dem Kopf oder ist als Tasche, Mond, vielleicht sogar als Pflanzenstengel gezeichnet. Besonders beeindruckend war der Mann, halb noch im Kopf eines schweren Elephanten, halb aus dessen Kopf heraus in wolkige Himmel gewachsen.“ Zeitweilig klappt es also mit der Kommunikation. Aber vielleicht liegt das auch nur am Krieg. So sagt es Una alias Bachstelze, der man nicht mehr recht trauen mag. Ihre Autorin aber sagt es auch. Krieg regt Kommunikation an, und Frau Kellein sagt: „Von daher kam mir der Golfkrieg als Thema sehr gelegen.“
Der Berlin-Verlag, bei dem das Buch erschien, machte im Klappentext aus diesem schönen Satz einen Roman über den Golfkrieg – eine gewagte Umkehrung mit der Konsequenz, daß sich das Buch nun schlecht verkauft. Kein Krieg ist heute weiter weg als grade dieser. Die Lesung heute abend aber wird vielleicht ganz nett. Sandra Kellein – soviel im voraus – spricht eher lustig über die Sachen. Gibt lauter falsche Auskünfte, als ob sie selbst nur einmal flüchtig in den Roman hineingelesen hätte. Hans Georg Soldat, der Moderator, und Nicole Müller, die zweite Autorin auf dem Podium, sind auch dabei. Fritz v. Klinggräff
Lesung und Gespräch mit Sandra Kellein und Nicole Müller in der Reihe „Künstlerhaus Schloß Wiepersdorf in der literaturWERKstatt“. Heute 20 Uhr, Majakowskiring 46–48, Pankow
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