Sanssouci: Vorschlag
■ "Love and Anger" bei den Friends of the Italian Opera: Närrisch
Das Gericht tagt nachts. Auf dem Richterstuhl sitzt eine Frau, die just aus der Psychiatrie entwichen ist. Der Angeklagte, Verleger eines Boulevardblatts, ist gefesselt und geknebelt, sein dicker Verteidiger reibt sich den Schlaf aus den Augen, während der Ankläger das Plädoyer beginnt. Jäh unterbricht das Urteil das Streitgespräch: „Death by drowning in the toilet!“
Das groteske Tribunal, in dem die Schwachen über die Starken zu Gericht sitzen, ist der Höhepunkt von George F. Walkers „Love and Anger“. Die englischsprachige Theatergruppe Out to Lunch, seit Jahren spezialisiert auf geistreiche Komödien, hat den erfolgreichen kanadischen Autor jetzt für Berlin entdeckt. „Love and Anger“ ist ein sozialkritisches Drama ohne Weinerlichkeit, ein trauriger Witz über einen närrischen Weisen. Peter Maxwell, ein erfolgreicher Anwalt, hat sich stark verändert, seit er vom Schlag getroffen wurde. Er teilt seine „Wiedergeburt“ in Phasen ein und führt eine schwarze Liste über staatliche Institutionen. Der Ehemann einer Mandantin sitzt wegen Einbruchs im Gefängnis. „Ich kriege ihn raus, indem ich das System unterminiere, das ihn hineingebracht hat.“ Maxwells Donquichotterie zieht sehr unterschiedliche Verbündete an: die schizophrene Sarah, aber auch die kühle Sekretärin Elinor und die junge Schwarze Gail. Der Krieg gegen das System, speziell gegen den Zeitungszar Conner, wird durchaus handgreiflich geführt: Die beiden Parteien verwickeln sich in Schlägereien und kommen den Zuschauern im winzigen Saal der Friends of the Italian Opera ab und zu gefährlich nahe.
Aber Simon Newbys Inszenierung ist nicht nur wegen der Prügelszenen sehenswert. David Reinhart verkörpert Maxwell als hypersensiblen, hektisch-nervösen Sonderling, ohne ihn je der Lächerlichkeit preiszugeben. Priscilla Be macht nicht nur Sarahs Verrücktheit glaubhaft, sondern auch ihre lichten Momente. Conners träger Anwalt (Jeff Caster), eine wunderbare Mixtur aus Selbstgefälligkeit und Feigheit, tanzt ein hinreißendes kleines Ballett und zählt dabei seine Wohltaten auf. Maxwells Arbeitszimmer ist so schräg, wie er die Welt sieht: Die Wände laufen spitz zu, hinten beginnt eine schiefe Ebene, die der Angeklagte hinabrutscht. Leider ist der Schluß allzu kitschig geraten: Nachdem Maxwell im Kampf gegen die Windmühlenflügel gefallen ist, versprechen sich die Frauen, gemeinsam weiterzukämpfen – gegen alle „big beefy mean white guys“. Miriam Hoffmeyer
Bis 19. Mai Do.–Mo. jeweils 20 Uhr, Friends of the Italian Opera, Fidicinstraße 40, Kreuzberg, Tel.: 6911211
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