■ Standbild: Sanfte Massage vom Missionar
„News & Stories“: Johannes Rau, Sat.1, 23 Uhr
In Günter Gaus' Gesprächsreihe mit den Bundespräsidenten in spe war Steffen Heitmann angekündigt. Doch der kleine Kommunikator kniff ganz kurzfristig und kam damit seiner Funktion auf dem rechten Weg zur Nation wieder einen Schritt näher: als virtueller Bewerber in offenbar unerklärlicher Mission. Missionarisch konnte sich dafür um so nachdrücklicher der SPD-Ersatz Johannes Rau in Szene setzen – eine gnadenlos versöhnliche Dreiviertelstunde gegen die Spalter aller Lager: „Es steht in der Bibel, daß die Welt im Argen ist, aber sie muß nicht darniederliegen blieben.“ Sentenzen dieser Gedankentiefe, vorgetragen vor einem pechschwarzen Studio-Hintergrund, machten das Medium zum heiligen, heilenden Kanal.
In stets eine nachdenkliche Anstandspause wahrender Gestik verabreichte der sanfte J. R. seine Seelenmassage: „Wo Menschen Unrecht getan ist, da muß der Versuch gemacht werden, Gerechtigkeit zu gewähren.“ In solchen gutgemeinten Schablonen des Gemeingü(l)tigen wird die Politik zur tröstenden Instanz und der kleine Unterschied noch zum Kriterium: „Ich bin eher konsensorientiert als harmoniesüchtig.“
Johannes Rau, seit 13 Jahren NRW-Landesvater, übt redlich den Spagat zwischen Moral und Machbarkeit – als eines der letzten Exemplare der nachkriegsgeschockten Generation mit ihrer hemdsärmeligen Aufbau-Ethik. Treffend und unbewußt hintersinnig erklärte er die Lust an der Politik. Das sei wie mit den Erdnüssen: „Man steht da und knabbert, und auf einmal sind sie aufgegessen.“ So ist er – der westdeutsche Anspruch auf geistig-moralische Grundversorgung und behäbigen Wohlstands-Status-quo. Da möchte der Kandidat nur ungern an seine wilden Jahre als Teenager im Streit um die Wiederbewaffnung erinnert werden: „Was war das schön, als wir nicht Politik machten, sondern die Welt ordneten.“ Kein Wort über die wirtschaftlichen Probleme im Osten, dafür ein betulicher Talk, westdeutsche Routine nach der Methode „Ruhe sanft“. Dieter Deul
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