piwik no script img

Sammelband zu MedienverhaltenWeltsicht der Algorithmen

Immer mehr Internetnutzer verlassen sich unkritisch auf Suchmaschinen. Ein Sammelband von Marcel Machill und Markus Beiler untersucht die Konsequenzen.

Viele unkritische Köpfe: Internetnutzer verlassen sich viel zu häufig auf die Suchtreffer von Google und Co. Bild: dpa

Neun von zehn Internetnutzern in Deutschland greifen auf Google zu, wenn sie im World Wide Web nach Gebrauchtwagen, Büchern oder Menschen Ausschau halten. Insofern wundert es nicht, dass die Geschichte des Unternehmens eine Geschichte der Superlative ist: wertvollster Markenname, teuerstes Medienunternehmen, meistgenutzte Suchmaschine.

Im Schatten der großen Soft- und Hardware-Produzenten mauserte sich das von Larry Page und Sergey Brin gegründete Suchportal zum Internet-Giganten, dem mittlerweile gute Chancen eingeräumt werden, es mit Größen wie Microsoft aufzunehmen. Immer häufiger verlassen sich Internetnutzer auf die Suchtreffer, die Google und Co. generieren. Aber kann man diesen Algorithmen trauen? Sind Maschinen die objektiveren Redakteure, oder zwingen uns die Suchmaschinen ihre eigene Weltsicht auf? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus, dass Informationen in verschiedensten Bereichen aus ein und derselben Quelle stammen?

Lesenswerte Antworten auf diese Fragen finden sich in dem gerade erschienenen zweisprachigen Sammelband "Die Macht der Suchmaschinen". Auch für unbedarfte Leser, deren Interesse an modernen Technologien eher weniger ausgeprägt ist, lohnt sich ein Einblick in dieses junge, bislang unterbelichtete Forschungsfeld. Denn die Netzwerkmedien konstituieren eine neue digitale Weltordnung, indem sie das Internet als ständig wichtiger werdende "virtuelle Realität" nicht nur strukturieren, sondern auch kolonisieren.

Nirgends verschmelzen Wissen und Macht wirksamer und subtiler als bei Google. Die hinter geschlossenen Türen festgelegten Relevanzkriterien bestimmen Informationsflüsse in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft - weltweit, wie sich versteht. Doch hinter den Kulissen findet ein weiterer Kampf statt. Mit mehr oder weniger legalen Mitteln sorgen Suchmaschinenoptimierer dafür, dass die Angebote ihrer Auftraggeber auf den vorderen Rängen erscheinen. Die Nutzer bekommen von alldem nichts mit.

Obwohl die Technologie im Verborgenen wirkt, bezweifelt niemand, dass die Suchmaschinen einen tief greifenden gesellschaftlichen Wandel angestoßen haben, insbesondere beim Zugang zu Informationen, im Bereich Datenschutz und in der Werbung. Die Frage liegt nahe, inwieweit staatliche Regulierung dem Missbrauch vorbeugen kann. Internationale Autoritäten wie Harvard-Professor Urs Gasser und EU-Datenschutzexperte Boris Rotenberg diskutieren in dem Band Ansätze, die von härteren gesetzlichen Regelungen bis zu einer freiwilligen Selbstkontrolle der Suchmaschinenbetreiber reichen. Zentrale Quintessenz: Der Markt allein stellt keine ausreichenden Mechanismen zur Verfügung, um der Konzentration im Datendschungel durch Suchmaschinen entgegenzuwirken.

Im Gegenteil, sowohl Suchergebnisse als auch Anzeigen stammen heute fast ausschließlich von den beiden Großanbietern Google und Yahoo - Tendenz steigend. Theo Röhle konstatiert in einem Beitrag zu "Machtkonzepten in der Suchmaschinenforschung", dass Suchmaschinen sowohl als "Pfadfinder" wie auch als "Türsteher" fungieren können. Sie entscheiden, welche Informationen im Netz zu finden sind - oder eben im Verborgenen bleiben.

Google, Yahoo und MSN üben darüber hinaus spür- und sichtbaren Einfluss auf die journalistische Arbeit aus, denn Suchmaschinen drängen sich dem "konzeptlosen Journalisten" als "kostenloses Geschenk" auf. Dieser läuft Gefahr, "dass er weniger die Suchmaschine führt als sie ihn". Wenn dem bequemen Griff zur Onlinesuche immer weniger Vertreter der schreibenden Zunft widerstehen, geht dies zwangsläufig zu Lasten von Objektivität und Qualität. Suchmaschinen werden aber auch gezielt eingesetzt, um auf Medieninhalte der BBC oder des ZDF aufmerksam zu machen. Einen grundlegenden Unterschied zwischen herkömmlichen Nachrichtenmedien und Suchmaschinen deckt der mit "Die Suchmaschinendemokratie" überschriebene Beitrag auf: Im Fall des Mohammed-Karikaturen-Streits waren sämtliche Printmedien, die sich für eine Veröffentlichung entschieden hatten, von Protesten betroffen. Obwohl dieselben Bilder auch über Suchmaschinen zugänglich waren, blieben die Proteste in diesem Fall aus - die internationalisierte, automatisierte Bereitstellung von Informationen bot den Gegnern keine Angriffsfläche.

Die im empirischen Teil des Buchs vorgestellten Untersuchungen geben auch Aufschluss darüber, welche traditionellen Medien von den Suchmaschinen verdrängt werden und wie sich die Qualität des neuen "Leitmediums" messen lässt. So führten Studenten der Universität Leipzig wissenschaftliche Recherchen durch und kamen zu einem erstaunlichen Ergebnis: Die Suche via Google stellte zwar höhere Ansprüche an die Selektionskompetenz, lieferte aber die akademisch wertvolleren Ergebnisse als die Spezialsuche über den Bibliothekskatalog der Hochschule.

Fazit: Die Beiträge aus Wissenschaft, Politik und journalistischer Praxis bieten mit ihrer internationalen und interdisziplinären Perspektive einen auch für Laien interessanten Einblick in ein aufstrebendes Forschungsfeld. Vielfalt und Qualität der Beiträge lassen hoffen, dass sich das Buch zu einem Standardwerk entwickeln wird. Denn die Welt der Suchmaschinen ist keineswegs ein Mikrokosmos für Computerfreaks: Sie ist hochgradig politisch, Spiegelbild ökonomischer Machtverhältnisse - und begegnet uns ahnungslosen Nutzern fast täglich.

Marcel Machill/Markus Beiler (Hg.): "Die Macht der Suchmaschinen. The Power of Search Engines". Herbert von Halem Verlag, Köln 2007, 350 Seiten, 28,50 Euro

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!