: Säure tötet Bücher
■ Beratungen über Gegenmaßnahmen in Paris
In den großen Bibliotheken der Welt sind schätzungsweise ein Viertel der Buchbestände von einer verheerenden Krankheit bedroht, der bisher nur schwer beizukommen ist. Seit Mitte des vorigen Jahrhunderts wird für die Buchherstellung säurehaltiges Papier benutzt, das nach etlichen Jahrzehnten vergilbt und regelrecht zerbröselt. Dieses Problem bereitet den Direktoren von Großbibliotheken aus knapp vierzig Ländern Kopfzerbrechen, die gegenwärtig in Paris über geeignete Gegenmaßnahmen beraten. Die Bundesrepublik ist durch den Generaldirektor der Deutschen Bibliothek in Frankfurt, Klaus-Dieter Lehmann, vertreten.
Bis etwa 1850 wurde Buchpapier vorwiegend aus Lumpen hergestellt und war damit zeitbeständig. Mit dem steigenden Bedarf entwickelte die Industrie ein Verfahren zur Herstellung von Papier aus Holz mit Säurezusatz. Der Zersetzungsprozeß beginnt normalerweise nach fünfzig oder sechzig Jahren. In der Pariser Bibliotheque Nationale weisen etwas weniger als die Hälfte der insgesamt zehn Millionen Buchbände zumindest Anzeichen der Krankheit auf, von der eine Million richtig befallen und zum Teil vielleicht nicht mehr zu retten sind.
Eine der Methoden zur Entsäuerung ist ein alkalisches Bad. In Paris werden seit 1979 fünfzig- bis sechzigtausend Bände jährlich behandelt. „Das ist eine wahre Sisyphusarbeit, weil jedes Jahr im Durchschnitt 30.500 neue Bände hinzukommen“, sagt der technische Leiter der Bibliotheque Nationale. Außerdem sind die Kosten mit fünfzig bis hundert Francs (15 bis 30 Mark) pro Buch relativ hoch. Noch teurer ist jedoch die Speicherung der Originale auf Mikrofilm. Diese Maßnahme wurde bei der Pariser Bibliothek bisher auf 100.000 Bände beschränkt. Bis 1995 sollen es mindestens 500.000 sein.
Alle sind sich einig, daß die beste Lösung für die Zukunft in der Verwendung säurefreien Papiers besteht, das eine Haltbarkeit von mindestens dreihundert Jahren hat. In den Vereinigten Staaten wurde damit 1988 bereits ein Viertel aller gebundenen Bücher hergestellt. Die öffentliche Bibliothek von New York hofft nach Worten ihres Direktors, daß dieser Anteil noch in diesem Jahr auf knapp fünfzig Prozent erhöht werden kann. Im März vergangenen Jahres unterzeichneten rund hundert große amerikanische Verlage wie Simon and Schuster, Random House und Macmillan mit bekannten Autoren eine entsprechende Entschließung. Lange Zeit gab es Vorbehalte wegen der Kostenfrage. Dieses Argument ist jetzt nicht mehr stichhaltig, denn mittlerweise verteuert sich beispielsweise ein Taschenbuch durch die Verwendung von säurefreiem Papier um weniger als eine Mark.
afp
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