Säumige Zusatzbeiträge der Krankenkassen: "Wir schicken keine schwarzen Sheriffs"
DAK-Chef Herbert Rebscher über die Finanzprobleme seiner Krankenkasse, Mitgliederschwund und die größten Versäumnisse der Politik im Gesundheitswesen.
taz: Herr Rebscher, Ihre DAK droht Versicherten, die den Zusatzbeitrag von 8 Euro nicht bezahlen, mit Pfändung. Ist das Ihr Verständnis Ihres sozialstaatlichen Auftrags?
Herbert Rebscher: Es ist ein Akt der Gerechtigkeit. 96 Prozent unserer 4,5 Millionen Mitglieder zahlen pünktlich. Ihnen gegenüber habe ich eine Verpflichtung. Die Hauptzollämter sind Inkassobehörde für alle Krankenversicherungen. Wir schicken keine schwarzen Sheriffs.
Senden Sie das richtige Signal? Seit Prämieneinführung haben Sie 330.000 Mitglieder weniger.
Wenn jetzt weitere Kündigungen kommen, dann mag das sein. Aber ich habe keine Wahl: Ich brauche die Prämie.
Was ist schiefgelaufen? Mehr als 100 andere Kassen verzichten auf die Prämie.
Gar nichts. Wir haben seit 20 Jahren einen etwas höheren Beitrag. Wir wollen eine Kasse sein, die sich um kranke, alte und behinderte Menschen kümmert. Dazu muss man vor Ort sein. Das sind wir mit 800 Geschäftsstellen. Andere Kassen haben nur 100. Ein 70-jähriger chronisch Kranker geht nicht ins Internet, sondern möchte persönlich beraten werden. Das ist teuer.
Jahrgang 1954, ist seit 2005 Chef der drittgrößten deutschen Krankenkasse DAK. An der Universität Bayreuth ist er Honorarprofessor für Gesundheitsökonomie.
Krankenkassen mit höheren Ausgaben sollten über den Risikostrukturausgleich entschädigt werden. Warum gelingt das nicht?
Der Risikostrukturausgleich ist willkürlich politisch festgelegt auf 80 Krankheiten. Dies hat nichts mit der Realität zu tun und muss reformiert werden.
Kann dies mit FDP-Gesundheitsminister Rösler gelingen?
Die Politik wäre gut beraten, wenn sie sich in dieser Frage von den interessengeleiteten Einflüsterungen emanzipierte. Das sehe ich aber nicht.
Wird die DAK die Prämie dieses Jahr erhöhen?
Nein, definitiv nicht.
Und 2012?
Das kann niemand wissen. Machen wir uns nichts vor: Die jüngste Reform der gesetzlichen Krankenversicherung diente nur dem Zweck, die sieben Landtagswahlen unfallfrei zu überleben: Die Beitragssätze stiegen deshalb um 0,6 Prozentpunkte, und 2 Milliarden Euro Steuern flossen ins System, damit nicht weitere Kassen die Prämie erheben mussten. Die Politik erklärt Zusatzbeiträge zur Regelfinanzierung der Zukunft, traut sich aber nicht, dieses Prinzip zu leben. 2012 werden wir sehen, ob die Politik wieder Angst vor ihren eigenen Entscheidungen hat und eine weitere Steuermilliarde in die Krankenversicherung zuschießt. Davon hängt ab, ob 2012 die Prämie flächendeckend kommt.
Was, wenn die Prämie flächendeckend kommt?
Ich befürchte, dass das Modell Prämie dazu führen wird, dass die Kassen sich systematisch von den Investitionen in eine gute Versorgung verabschieden.
Ist das schlimm?
Ja, denn ein gut eingestellter Diabetiker muss in fünf Jahren keinen Fuß amputiert bekommen, ein von seinem Arzt gut betreuter Herz-Kreislauf-Patient bekommt vielleicht keinen Herzinfarkt. Aber erst mal kostet die bessere Versorgung Geld. Die Prämie vernichtet dieses Kalkül. Wir sind mit den Zusatzbeiträgen in einer vergleichbaren Situation wie Vorstände von Aktiengesellschaften, die nur danach bewertet werden, ob sie im nächsten Quartal einen Gewinn machen - und nicht danach, ob das Unternehmen in fünf Jahren noch gut aufgestellt ist.
Ist das der sinkenden Solidarität geschuldet?
Den Bürgern wird der Wert von Solidarität nicht mehr vermittelt. Viele Politiker empfehlen, im Internet die billigste Kasse zu suchen. Wer Sozialversicherungssysteme nur unter ihrer Preisfähigkeit diskutiert, darf sich nicht wundern, wenn das Management preisbewusst handelt.
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