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Säuberungsaktion im UmweltministeriumVorauseilender Gehorsam

Das Bundesumweltministerium scheitert mit dem Versuch, atomkritische Veröffentlichungen still und leise zu entsorgen.

Bundesumweltminister Norbert Röttgen: Seine Mitarbeiter räumen schon mal auf. Bild: ap

BERLIN taz | Das Bundesumweltministerium (BMU) hat atomkritische Publikationen der vorigen Regierung wieder online gestellt, nachdem diese zu Wochenbeginn von der Website der Behörde gelöscht wurden.

Betroffen sind die Broschüre "Atomkraft: ein teurer Irrweg - Die Mythen der Atomwirtschaft" und die für den Schulunterricht konzipierten Unterlagen "Einfach abschalten?".

Vorausgegangen waren Pannen in der Informationspolitik des BMU. Auf Nachfrage der Internetzeitung netzpolitik.org, wieso die Materialien nicht mehr verfügbar seien, hieß es aus dem Ministerium zunächst, es handele sich dabei um einen normalen Vorgang. Publikationen, die ein Vorwort sowie ein Foto des ehemaligen Ministers enthielten, würden nach einem Regierungswechsel regelmäßig ausgetauscht. Es sei zudem üblich, Unterlagen, die nicht mehr in gedruckter Form vorrätig seien, aus dem Netz zu nehmen.

Allerdings stimmt keine der beiden Begründungen. Weder enthalten die beiden Veröffentlichungen ein Foto von Exminister Sigmar Gabriel (SPD), noch sind die genannten Schriftstücke die einzigen, die ausschließlich online verfügbar wären.

Auf Anfrage der taz teilte das BMU mit, dass es sich keineswegs um gezielte Säuberungsaktionen nach dem schwarz-gelben Regierungswechsel handele. "Niemand geht hier mit dem eisernen Besen durch", sagte ein BMU-Sprecher. Schließlich seien andere, ebenfalls kritische Studien zu dem Thema durchgängig verfügbar gewesen. Vielmehr habe "irgendjemand" aus "vorauseilendem Gehorsam" die Studien vorsorglich aus dem Netz entfernt. Die beiden Broschüren distanzieren sich klar von der Atomenergie und befürworten den Ausstieg aus der Kernenergie. "Die prinzipiellen Risiken der Atomenergie sind nicht beherrschbar", heißt es unter anderem. Die Aussagen stehen im Widerspruch zur Linie der aktuellen Bundesregierung, die sich ausdrücklich zur Atomenergie bekennt.

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5 Kommentare

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  • J
    Jörn

    Nun ist es soweit. Ich konnte die Broschüre "Atomkraft: ein teurer Irrweg - Die Mythen der Atomwirtschaft" auf der BMU Seite nicht mehr finden. Die für den Schulunterricht konzipierten Unterlagen "Einfach abschalten?" sind aber noch verfügbar.

  • UV
    Ulla Veith

    Leserbrief

     

     

    Aus christlicher Verantwortung: Die nukleare Geisterfahrt beenden!

     

    Der Betrieb von Atomkraftwerken ist volkswirtschaftliche Idiotie. Ihr Weiterbetrieb bedeutet mit unseren Lebens- und Zukunfts-Chancen russisches Roulett spielen. Die körperliche Unversehrtheit von Menschen (Artikel 2 Grundgesetz) darf nicht weiter auf dem Altar der Profitinteressen einer verschwindend kleinen Minderheit von Betreibern nuklearer Anlagen geopfert werden. Bei der Berechnung von Atomstrom fehlt ein entscheidender Kostenblock. Dies resultiert nach Aussage der Regierung von Dr. Helmut Kohl 1998 im Deutschen Bundestag aus einer Studie der renommierten Baseler PROGNOS AG für das damalige Bundeswirtschaftsministerium (BMWi), aus der hervorgeht, daß bei Berücksichtigung aller Folgekosten die errechneten Versicherungskosten pro Kilowattstunde Atomstrom reell bis zu 2 EURO betragen. Die auf Kosten der Steuerzahler erstellte Grundsatzstudie (Hans Jürgen Ewers und Klaus Rennings, Abschätzung der monetären Schäden durch einen sogenannten Super-Gau, Prognos-Schriftenreihe Bd. Band 2) hat den Titel "Identifizierung und Internalisierung der externen Kosten der Energieversorgung".

     

    Mit freundlichen Grüßen

     

    Ulla Veith

    Vorstandssekretariat BUNDESVERBAND CHRISTLICHE DEMOKRATEN GEGEN ATOMKRAFT (CDAK), CDU/CSU - Mitglieder für die Überwindung der Kernenergie

    Postanschrift: Postfach 421431 D - 55072 Mainz

    Pressefach:

    http://merky.de/076063

  • P
    Peter

    "vorsorglich" entfernt. glücklicherweise habt ihr eure regierung vorsorglich selbst gewählt. DDD=deutschland den dummen. wenn's da nich' noch netzpolitik und taz gäbe ... aber wo wart ihr denn bei der wahl?

  • J
    Jens

    warum sollte es keine "gezielte Säuberungsaktionen" geben von Hetzschriften, die nur zu Propagandazwecken auf den Seiten des BMU waren, damit der Schullehrer seine Agitation betreiben kann?! Also, BMU, weg damit und gezielte Aufklärung und objektive Informationspolitik betreiben, statt Bürger, Eltern und Kinder zu beunruhigen und zu ängstigen!

  • W
    Wau

    ...und wenn es die taz nicht gäbe wäre das Wiederauftauchen der untergetauchten Dokumente auch nicht weiter aufgetaucht.

     

    Allerdings hat sich Umweltminister Norbert Röttgen kürzlich in einem Zeit-Interview durchaus einigermaßen atomkritisch geäußert:

     

    "ZEIT: Dafür wollen Sie die deutschen Atomkraftwerke länger am Netz lassen – auch um den Preis, dass ein schon befriedeter gesellschaftlicher Konflikt wieder aufflammt.

     

    Röttgen: Ich bin entschlossen, es dazu nicht kommen zu lassen. Erstens stellen sich Sicherheitsfragen unabhängig von der Debatte um die Laufzeiten. Zweitens muss, ebenso unabhängig von der Laufzeit, die offene Frage der Endlagerung beantwortet werden. Und drittens sagen wir klipp und klar, dass die Kernenergie nur eine Brücke ist.

     

    ZEIT: Wohin?

     

    Röttgen: Zu dem Ziel, Deutschland vollständig mit regenerativer Energie zu versorgen. Warum nur eine Brücke? Weil es seit Jahrzehnten an der gesellschaftlichen Akzeptanz der Kernenergie fehlt. Ausschließlich deswegen! Denn sprächen Sicherheitsbedenken dagegen, dann müsste schon heute Schluss sein.

     

    ZEIT: Die Kernenergie ist eine besonders wenig nachhaltige Form der Stromerzeugung, allein wegen der nicht gelösten Entsorgungsfrage.

     

    Röttgen: Sie haben recht... Aber dieses Problem ist in den 1970er Jahren entstanden, als in Deutschland die ersten Kernkraftwerke gebaut wurden. Und es stellt sich völlig unabhängig davon, ob einzelne Kernkraftwerke möglicherweise ein paar Jahre länger laufen als von der rot-grünen Regierung beschlossen."

     

     

    http://www.zeit.de/2009/47/Roettgen?page=all