■ Sächsische Rechtsradikale auf Bildungsurlaub in Israel: Wider den Unsinn des Erweckungstourismus!
Reisen bildet, und Bildung macht aus Mistkerlen erst Vertreter der Gattung Homo sapiens. Das ist zumindest die Auffassung eines humanistischen und polyglott-wendigen Bürgertums, weshalb dieses sich auch gern den Button an den Mantelkragen heftet: „Auch ich bin Ausländer! Fast überall!“ Was liegt also näher, als rechtsradikalen Jugendlichen und Heranwachsenden auf Steuerkosten einen Auslandsaufenthalt zu verschreiben? Schließlich kennt man es aus eigenem Erleben, dieses völkerverbindende Hochgefühl aus dem letzten Türkei-Urlaub, als man von der Straße weg zu einem schmackhaften Abendmahl eingeladen wurde. Und das eherne Ziel – Abbau rassistischer Gewalt rechtfertigt ungewöhnliche Schritte, die nur von bösen Zungen als Kopfgeldprämie für gelungene ethnische Säuberungen interpretiert werden können.
Als vor einem Jahr eine Gruppe Rechtsradikaler aus Hoyerswerda und Rostock, die immerhin für sich reklamieren dürfen, an den ersten Nachkriegspogromen beteiligt gewesen zu sein, mit deutsch-türkischen Jugendlichen die Türkei bereisten, fieberten die mitgekommenen Journalisten der Katharsis entgegen und fragten die Brandstifter stündlich: „Und wie stehen Sie heute zu den Türken?“ Es wäre zu schön gewesen, den Daheimgebliebenen via Satellit rechtzeitig zu den „Tagesthemen“ die Metamorphose vom rassistischen Saulus zum weltgewandten Paulus zu präsentieren. Ein neues, attraktives Betätigungsfeld für pädagogische Zampanos hätte sich aufgetan. Aber Pustekuchen. Zu Hause angekommen, hatten die ihren „Kameraden“ erst einmal zu beweisen, daß sie nach wie vor bedingungslos „zur nationalen Sache“ stehen.
Der unerschütterliche Glaube an das Gute im Menschen muß auch Dresdens Ausländerbeauftragte Marita Schieferdecker- Adolph geritten haben, als sie mit 21 rechtsradikalen Jugendlichen aus ihrer Heimatstadt nach Israel reiste. Männer, mit denen sie in Kontakt kam, nachdem Gesinnungsgenossen den Mosambikaner Jorge Gomondai in den Tod getrieben hatten. Und nun diese Undankbarkeit! Anstatt ihre „unkonventionellen Wege zum Abbau von Antisemitismus“ zu loben, nichts als Watschen.
Schieferdecker-Adolph erhält sie zu Recht. Denn die Hoffnung, Rechtsradikale mit einer Reise nach Israel oder dem Besuch eines Vernichtungslagers „bekehren“ zu können, hat sich schon längst als pädagogischer Unsinn erwiesen. Jugendliche werden heute nicht deshalb rechtsradikal, weil sie zu wenig über die NS-Zeit wissen, sondern weil ihnen Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus als die beste oder einzige Lösungsmöglichkeit aus gegenwärtigen sozialen Problemlagen und/oder (Selbst-)Bewußtseinsdefiziten nützlich erscheinen.
Wenn man Täterarbeit betreibt, was ja sinnvoll ist, weil sie dazu beitragen kann, künftige Opfer zu vermeiden, wird man nicht um den mühsameren, teureren und weniger öffentlichkeitswirksamen Weg herumkommen, eine langfristige ganzheitliche, identitätstiftende Jugendarbeit vor Ort aufzubauen, die Jugendlichen ermöglicht, Alternativen zum für sie augenblicklich scheinbar nützlichen Rassismus zu entwickeln.
Aber über die Sinnhaftigkeit pädagogischer Maßnahmen wird im Fall Schieferdecker-Adolph gar nicht gestritten. Die Gemüter erregt vielmehr die Frage: Haben die in der Wiking-Jugend und anderen neonazistischen Kaderorganisationen Aktiven, die sich unter der Reisegruppe befanden, die Chuzpe gehabt, ihre jüdischen Reisebegleiter in Haifa mit den Worten „Judenschweine“ und „Du gehörst vergast“ zu beschimpfen? Warum sollten sie es ausgerechnet in Israel nicht getan haben? Schließlich gehören derartige Sprüche zum Standardrepertoire der organisierten Neonazis. Doch selbst wenn die antisemitischen Parolen nicht gefallen sind, würde die Reise dadurch nicht besser.
Mit Pädagogik hat dieser neudeutsche Erweckungstourismus, wie er sich mit den Zielländern Türkei, Israel und Polen etabliert, herzlich wenig zu tun. Schon eher mit dem dreisten Versuch, ein urdeutsches Problem an die gastgebenden Länder abzugeben. Verlangt wird von diesen, den potentiellen Tätern mit bis zur Selbstverleugnung reichender Nettigkeit, Aufmerksamkeit und Gastfreundschaft zu beweisen, daß sie und ihre Angehörigen in Deutschland es nicht verdienen, erschlagen und verbrannt zu werden. Die Reiseorganisatoren haben die Logik und Gedankenwelt ihrer Klientel bereits so verinnerlicht und gehen in ihrem „Arbeitsansatz“ davon aus, es gäbe einen letztendlichen Beweis, warum man Ausländer und Juden nicht totschlagen sollte. Folglich müssen sich nicht die Täter, sondern die Opfer als gute Menschen präsentieren. Sie und nicht die Täter müssen ihr Handeln erklären und werden in eine unwürdige Rechtfertigungsposition um ihre Existenzberechtigung gedrängt. Schließlich wäre das pädagogische Ziel – Abschwören vom realen und verbalen Totschlag – gefährdet, würden die Gastgeber ihre Gäste allzu offensiv in die Mangel nehmen und zeigen, was sie von Antisemiten und Rassisten halten.
Die Annahme, wer die Welt kenne, sei gegen Rassismus und Eurozentrismus gefeit, ist grober Unfug. Die Bundesdeutschen, seit den sechziger Jahren Europameister in Sachen Auslandsreisen, beweisen, daß diese durchaus einen anti-aufklärerischen Effekt haben könnten. Je mehr die Deutschen zum Beispiel die Armut in Südosteuropa, den Mittelmeerländern oder gar in Afrika und Asien persönlich in Augenschein nehmen können, um so ängstlicher und entschlossener verteidigen sie ihren Schrebergarten und versuchen mit allen Mitteln, den Ost-West- und Süd- Nord-Tourismus zu verhindern.
Den Opfern der rechten Schlägertrupps muß der Erweckungstourismus als blanker Zynismus erscheinen. So warten zum Beispiel die beiden namibischen Jugendlichen Jona Ipinge und Lucas Nghidiniwa, die im Mai 1991 in Wittenberge von einem rechten Mob aus dem vierten Stock geworfen wurden und heute noch an den gesundheitlichen Folgen laborieren, auf vergleichbare Generosität. Weder sahen sich staatliche Stellen in der Pflicht, die Eltern einzufliegen, damit sie sich persönlich ein Bild vom Gesundheitszustand ihrer Söhne machen konnten, noch finanzierten sie den beiden einen Heimaturlaub.
Nicht die Rechtsradikalen brauchen Finanzierungshilfen zum Aufbau internationaler Kontakte, sondern die zahlreichen jungen Menschen, die auch in Dresden in antirassistischen Initiativen arbeiten, damit sie wirkungsvoller in der Lage sind, ihre Aktivitäten zu vernetzen, um den europaweit grassierenden Rassismus zu bekämpfen. Eberhard Seidel-Pielen
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