: Sachsen-Sozis vor der 5-Prozent-Hürde
Die SPD ist überall in der Krise. Nirgends ist es so schlimm wie in Sachsen. Bei der Landtagswahl im September geht es um die nackte Existenz – vor allem für die ohnehin wenigen sozialdemokratischen Abgeordneten, die um ihre Jobs fürchten müssen
AUS DRESDEN MICHAEL BARTSCH
Im mittelsächsischen Döbeln will die Sachsen-SPD morgen ihre Listenkandidaten für die Landtagswahl am 19. September festlegen. Ursprünglich sollte dieser vermeintlich taktisch kluge späte Termin einen Volksliebling aus Leipzig zum ernsthaften Rivalen von Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) küren. Doch Wolfgang Tiefensee wollte die Olympiakandidatur Leipzigs nicht in den Wahlkampf hineinziehen und hatte wohl noch einige interne Gründe mehr, seiner Partei schon im November des Vorjahres einen Korb zu geben.
Nun hätte auch ein Tiefensee gegen den Bundestrend wenig ausrichten können, zumal er als Mitglied der Hartz-Kommission ebenfalls für einige Folgen des so genannten Reformkurses haftbar gemacht werden könnte. Aber mit einem solchen prominenten Frontmann hätte die sächsische SPD wenigstens zunächst einmal ihre internen Konflikte überspielen können. Die dürften am Sonntag beim Feilschen um die Listenplätze erneut aufbrechen. Die aussichtsreichen Plätze sind besonders rar, denn das zu verteilende Fell des noch nicht einmal erlegten Bären stammt eher von einem Waschbären als von einem Grizzly. Schon bei der letzten Wahl vor fünf Jahren bekam die SPD nur 10,7 Prozent, diesmal dürfte es noch weiter nach unten gehen.
Offiziell nie veröffentlicht wurde eine vom Landesvorstand in Auftrag gegebene Studie, nach der die Kernwählerschaft im schlimmsten Fall auf 6 bis 8 Prozent schrumpfen könnte. Nicht nur der Brandenburger SPD-Bundestagsabgeordnete Stephan Hilsberg sorgt sich deshalb allen Ernstes um den Wiedereinzug seiner sächsischen Genossen in den Landtag. Aber selbst wenn sich diese Sorge als übertrieben erweisen sollte, bleiben der SPD wohl nur noch 8 statt bisher 14 sichere Mandate. Um Listenplatz acht, den Dresdnern zugesprochen, stritten sich der oft als Ein-Mann-Opposition apostrophierte hochinvestigative Landtagsabgeordnete Karl Nolle und Exstadtratsfraktionschef Albrecht Leonhardt. Die Basis favorisierte Nolle, Leonhardt schmiss daraufhin den Vorsitz im Unterbezirk Dresden-Elbe-Röder hin.
Der Vorgang ist symptomatisch für den Parteizwist, dessen Polarisierung viel mit dem Kurs der Bundespartei zu tun hat. Die Landesvorsitzende und Europaabgeordnete Constanze Krehl, in Sachsen wenig zu sehen, steht als Mitglied des Bundesvorstands für die Agenda 2010. Landtags-Fraktionschef Thomas Jurk spricht zwar auch von Unausweichlichkeiten angesichts der weltweit veränderten Wettbewerbsbedingungen. Wenn er aber die letzte Regierungserklärung von Ministerpräsident Milbradt mit einer „notwendigen Gerechtigkeitsdebatte“ erwidert und „Arbeitnehmern nicht allein die Last der Reformen aufbürden“ will, scheint der Adressat weniger auf der Regierungsbank in Dresden als in der Berliner Parteizentrale zu sitzen.
Krehl verkörpert außerdem den in der SPD ausgeprägten autoritären Führungsstil, während der umgängliche Jurk zumindest die Landtagsfraktion zusammenzuhalten sucht. Nach Tiefensees Absage und einem gescheiterten Urwahlversuch einigte man sich auf eine Doppelspitze mit Jurk auf Platz 1 und Krehl auf Platz 2 der Landesliste. Dahinter geht es um die Platzierung der Gefolgsleute, aber auch um „pure Machtabsicherung“, wie Juso-Chef Martin Dulig bemerkt. „Wenn wir die Kröte Krehl schlucken, warum schluckt Frau Krehl nicht auch die Kröte Nolle?“, polemisiert die nicht nur körperlich gewichtige „Kampfwalze“ Karl Nolle. Der ehemalige Leipziger Unirektor Cornelius Weiss berichtet von Aufforderungen aus der Hochschule, sich nicht weiter beschädigen zu lassen. DGB-Landeschef Hanjo Lucassen, der nicht wieder für die SPD kandidiert, konnte mit Mühe davon abgebracht werden, eine neue „Sächsische Arbeiterpartei“ zu gründen.
Wie alle ostdeutschen Landesverbände sucht die SPD in Sachsen nach einem Profil zwischen CDU und PDS. Die schmale Basis von etwa 4.800 Mitgliedern schrumpft weiter. Die Partei hat nicht nur Ex-SED-ler ausgegrenzt, sondern auch nicht vermocht, Experten und Initiativen aus dem vorparlamentarischen Raum an sich zu binden, wie es die PDS mit Erfolg tut. Einzig in der Bildungspolitik hat sich die Fraktion dank eines rührigen Referenten eine gewisse Anerkennung erworben. Vor allem hört man nichts von einer „Jugendbrigade“, obschon der Anteil der Jusos zahlenmäßig steigt. Die jüngste Abgeordnete ist 41.
Juso-Landeschef Dulig, auch schon Vater von fünf Kindern und nicht nur als solcher ein Agenda-Kritiker, will am Sonntag jedenfalls heftig um eine Verbesserung seines aussichtslosen Listenplatzes kämpfen.