piwik no script img

Sachbuch "Nerd Attack!"Wunderbare Welt der Widersprüche

Vom Commodore 64 bis Twitter und vom BTX-System der Bundespost bis "Anonymous": Ein neues Sachbuch zeigt Entwicklungslinien des Netzes.

Vernetzt sind wir bestens, aber auch erleuchtet? Bild: Photocase / kallejipp

BERLIN taz | Es ist eine schwierige Aufgabe, einer Gruppe von Menschen, deren einzige Gemeinsamkeit darin besteht Teile ihrer Identität zu verschleiern, mit einem "Wir-Gefühl" zu kommen.

Nicht gerade leichter dürfte es sein, eine gemeinsame Sprache zu finden für Bewohner einer Welt, in der ein Fünftel in irgendeiner Form PR betreibt und ein anderes Fünftel dieses Treiben ablehnt. Alles andere als einfach wird die Aufgabe auch dort, wo Datenschutz auf die freiwillige Bereitschaft trifft, alle Daten offenzulegen.

Willkommen im Internet. Hier sind schon die Grundkonstellationen voller Widersprüche: Kaum jemand will für etwas bezahlen, und doch wittern Unternehmen hier die großen Märkte. Wo Pseudonyme so gängig sind wie Anti-AKW-Buttons bei den Grünen, wird täglich mehr Transparenz in der Demokratie eingefordert. Was teilweise im Dunstkreis des Militärs entstand, schickt sich an, die weltweite Zivilgesellschaft zu stärken.

Schwer und leicht zugleich

Christian Stöcker, Ressortleiter Netzwelt bei Spiegel Online, macht es sich in "Nerd Attack!" leicht und schwer zugleich, einen Umgang mit all diesen gegensätzlichen Phänomenen zu finden. Leicht, denn zuerst einmal lässt sein Label der "Generation C64 ff." viele Differenzen in den Hintergrund treten.

Bild: dva
"Nerd-Attack!"

Christian Stöcker: Nerd-Attack! Eine digitale Geschichte der digitalen Welt vom C64 bis zu Twitter und Facebook. DVA/Spiegel Buchverlag, München/Hamburg 2011. 320 S., 14,99 Euro.

Schwer, denn der Autor ist umsichtig genug, die Widersprüche nicht zwanghaft einebnen zu wollen. Dies ist, um es vorwegzunehmen, die große Stärke des Sachbuchs, dem auch die an vielen Stellen schlicht-verspielte Subjektivität Stöckers zugute kommt.

Sein erster Commodore 64 hat Stöcker nicht nur den Weg in die Welt der digitalen Spiele gewiesen, er war gleichzeitig auch die Startlinie für alles, was danach kam. Spiele für den C64 waren teuer, gecrackte Versionen hingegen einfach und für lau zu bekommen, auch wenn man nicht wusste, von wem sie stammten.

"Von der Anonymitätskultur von damals lässt sich eine direkte Entwicklungslinie ziehen zu den Privatsphäredebatten der Gegenwart", schreibt der Autor und weist, so gar nicht dem Klischee des unpolitischen Nerds entsprechend, zudem auf politische und gesellschaftliche Entwicklungen hin, die der Genese der digitalen Netze vorausgingen oder sie begleiteten: 68, Hippies, libertäre Staats- und Konzernkritik, progressive Hacker.

Entwicklungslinien

Einige solcher Entwicklungslinien hat der Autor als zweite Strukturebene in sein Buch eingearbeitet, etwa jene, die sich vom BTX-System der Deutschen Bundespost über AOL bis zu Settop-Boxen von Kabelbetreibern ziehen. Das BTX-Bedienprinzip "Ja"-"Nein"-"Kaufen" begegnet uns heute bei Facebook wieder, wenn sich auch die Funktionalität vervielfältigt hat.

Deutlich wird dabei der Wunsch bestimmter Netztechnologie- und -Dienstleistungsanbieter nach überwiegend passiven Kunden statt mehrheitlich aktiven Nutzern und nach eingehegten Arealen und Monokulturen statt Wildwuchs in Vielfalt. Nicht ganz unschuldig daran ist Apple, lange Zeit von Nerds und Geeks als Alternative zu Microsoft gepriesen.

Auch auf die "kalifornische Ideologie" geht Stöcker ein, also die vermeintliche Befreiung der Individuen von staatlichen Zwängen und monopolistischer Marktzurichtung durch dezentrale, vernetzte und kreative Arbeit und Produktion, die schnell neue Zurichtungen des Individuums geschaffen hat.

Hier, an den Rändern, verflacht Stöckers Buch. Zwar erfahren wir noch allerhand über Debatten und Nutzer auf 4chan, "die Wiege der 'Anonymous'-Bewegung" (Wikipedia). Doch die Wechselwirkungen zwischen Subkulturen und Mainstream oder allgemeiner zwischen Underground und Pop werden nur noch ansatzweise verarbeitet. Weblogs und Twitter wurden durch Außenseiter interessant, bevor sie sich der Mainstream als Instrumente einverleibte. Aus der glatten Oberfläche werden heute wiederum Teile für neue unhandliche und randständige Zwecke herausgebrochen.

Stöcker liefert einen luziden, vielseitigen und nie langweiligen Blick auf 30 Jahre digitales Leben. Eine kritische Geschichte des Internets, die politisch interveniert, wo die Selbstbestimmung in Netzen in Frage steht, ist erst noch zu schreiben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • BA
    bitte anonym

    Ps: weil heisst ja ' pen--tagon' , warum nicht quintagon ? (Quinche=5, latein)

    Heisst, octa-gon, septa-gon, aber warum...pen--tagon ?

     

    Funny, huh ?

  • BA
    bitte anonym

    Man sollte eigentlich meinen das 'Anonymitaet ' im Internetz doch garnicht wirklich existiert, zumal wir im Big Brother 21sten Zeitalter leben, und jene die wirklich glauben das sie anonym I'm Facebook, und wie's nicht alles heist, rumtippen, sind irgendwie naiv ; obwohl, naivitaet ist eigentlich etwas sehr sympatisches.

     

    Man koennte meinen das Big Brother sicherlich die Idee gekommen ist, vor allem nach 9-11, als es schon mypasce/yourspace,usw. Gab, auch ein social network zu schaffen, welches groesser und populaerer ist als myspace/yourspace - und wenn sie richtig doll strategisch schlau sind, sowas wie ' Facebook ' in die Welt setzen wuerden, und einen Individuellen, fuer die Oeffentlichkeit, als Erfinder und Schoepfer kroenen, weil sollte ja geheim bleiben, wenns ein strategischer ' big brother' schachzug ist, und keiner wissen soll, es ist big brother der hinter so einem social network lurked; weil wuerde es heissen, Big brother hat ein ganz, ganz tolles socialnetwork geschaffen, sei es noch so gut, wuerde sich kaum jemand anmelden -

     

    Wenn dem so waere, dann faend ich das genial.

     

    Okay, was die fantasie alles hergibt, ist bestimmt nicht so - aber 'wenn' es so waere, waer doch genial, nee ?

     

    Denn dann koennte big brother nur auf en klenen knopf druecken, und man kucken we're sich hinter den IP addressen versteckt, und kann sicherheitvorbeugung betreiben.

     

    Koennt ja sein das in ' Pen--tagon ' viel innovatives erfunden und geschrieben wird, ; )

  • DF
    Da fehlt doch was...

    "Eine Geschichte der digitalten Welt von C64 bis Twitter und Facebook" -> also von C64 bis 2006 ?

  • Y
    Yadgar

    Oha, ein Déjà-vu! Ich musste augenblicklich an "Chip Generation - Ein Trip durch die Computerszene" von Matthias Horx denken, das ich als 15jähriger Teeniedödel im Frühling 1985 mit heißem Kopf in der Kölner Bahnhofsbuchhandlung verschlang... zum ersten Mal ein Buch über meine Generation, die Generation der C 64-Kids, und zwar im Kontext der damals abflauenden Alternativbewegung. Daddeln, Commodore BASIC 2.0 und 6510-Assembler als 80er-Jahre-Jugendrevolte gegen das patschulimüffelnde Wollsockentum moralinsaurer Späthippies... das war schon sehr cool, auch wenn ich damals am liebsten beides gewesen wäre, ein langhaariger Joystick-Mujahed ("The Loya Jirga of Datahedin proudly presents Realm of Impossibility, cracked 1365 by Nadir Pashtun") mit Überland-nach-Indien-Ambitionen...

     

    Damals begann der große Aufbruch in die virtuelle Welt - und damit verbunden leider auch der Rückzug aus der realen, was uns Computerkids allerdings damals noch nicht weiter bekümmerte. Zum einen entspannte sich in der zweiten Hälfte der 80er Jahre dank Gorbatschow die Ost-West-Konfrontation, so dass die apokalyptischen Visionen vom unmittelbar bevorstehenden nuklearen Holocaust verblassten und politisches Engagement nicht mehr als sonderlich sexy galt, und schließlich verhieß die neue Heimcomputertechnologie unendliche Entfaltungsmöglichkeiten für Kreativität, da war es einfach nicht mehr wichtig, in Landkommunen das Leben nach dem großen Crash zu proben...

     

    Heute hingegen kommen mir diese virtuellen Welten, allen voran das Internet, zunehmend als das große Protestverhinderungs-Ventil vor, durch das jeder Ansatz einer "Alternativbewegung 2.0" in folgenlosem Blog- und Forengeplapper versandet bzw. von rechtsradikalen Hassideologien vereinnahmt wird... traurig, traurig!