Sacha Baron Cohen spielt "Brüno": Schamlos charmanter Held
"Brüno" ist die heftigste Tunte, die die Kinowelt je gesehen hat. Ist Sacha Baron Cohens Film eine Erlaubnis für gebildete Heteros, sich über Schwules lustig zu machen?
Der Coup bestrickendst echter Tuntigkeit ist lange vorbereitet worden. Schon zu einem Zeitpunkt, als Sacha Baron Cohen in den geschmacklich stets sicheren Kreisen noch ob seines Films "Borat" gefeiert wurde, lancierte der Regisseur alles, was seine neue künstlerische Hervorbringung wichtig und glaubwürdig machen würde.
"Brüno", wie das Produkt heißt, ist der österreichische Homosexuelle und Modejournalist Brüno, der es - und mit ihm sein deutscher Assistent Lutz - nicht aushält in der Heimat, weil alle doof sind, für Schwules kein Verständnis haben. So wandern sie in die USA aus, ins Land der unbekannten Möglichkeiten. Dort will Brüno der "größte homosexuelle Filmstar seit Arnold Schwarzenegger" und mindestens der berühmteste Österreicher seit Adolf Hitler werden.
Cohen spielt Brüno natürlich selbst, tuntig, absolut klischeeschwul und bezaubernd deutlich. Ohne viel Gewes darum, ob er weniger auffallen sollte als Schwuppe, Tucke oder Schwuchtel. Nein, Brüno ist als Brüno nur im schwulen Vollpaket zu haben. Denn, so die Provokation des ganzen Films, Brüno ist mit dieser Wesensart der Seinigen ganz und gar einverstanden. Grübeleien, ob er zu wenig männlich sei, scheinen ihm fremd. Brüno ist insofern authentisch, vollkommen natürlich und, eben drum, so männlich, wie er es selbst möchte. Cohen zelebriert diese Aura viel glamouröser als es Hape Kerkeling in seinem Sketch über den Homo im Düsseldorfer Café vermag ("Nain … das glaub ich ja neech'"), aber beide, der Kerkeling-Held wie Brüno, sind ganz bei sich, schamlos, aber mit Charme und Witz.
Cohen hat seinen Film - wie schon in "Borat" oder wie in "Ali G in da House" - mit einer Fülle von schockierenden Episoden angelegt. Ohne den Inhalt zu verraten, darf gesagt werden, dass Brüno eine Menge heterosexuelles Publikum zu ertragen hat oder an sich abperlen lassen muss, das ihm nicht wohlgesinnt ist. Da werden Schrotflinten nachgeladen, wenn er auf Cowboys zugeht, da gehen Männer in Deckung, geht er mit kessem und absolut nicht klassisch-heterosexuell deutbarem Hüftschwung auf sie, die sogenannten Normalos, zu.
"Brüno" ist im Grunde nichts anderes als eine "Versteckte Kamera" ohne menschelnd-nachbarschaftliche Attitüde, sondern die Attacke auf das politisch korrekte Gutmenschentum, auf all die gesitteten Gemüter, die nichts gegen Schwule haben, aber Tunten lieber in einem Käfig voller Narren eingesperrt sehen wollen. Brüno ist quasi Lagerfeld plus Versace plus Joop plus Unverstelltheit, er ist krass, wie es eine Figur, die ist, wie sie nicht anders sein will, eben ist.
Die Frage, die sich auch gestern Claudius Seidl in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung unter der Überschrift "Prüder in Waffen" stellte, ist ein sehr schlichte: Kann sich ein überwiegend heterosexuelles Publikum mit einem wie Brüno identifizieren, ihn nett finden - auch deshalb, weil doch Brüno, das ist Teil seines meisterlichen Lebensromans, so gar kein Opferschema abliefert. Darf man über schwule Männer lachen, über Schwules? Seidl, ganz von oben herab, kommentiert am Ende die wahre Tragödie Brünos, seine Liebesgeschichte, den Kuss, der in ihr liegt, fast gönnerisch-neutralisierend: "Es ist eine Schweinerei, ein Abgrund, ein Vergnügen. Ein Glück" - und meint damit den Charakter des Helden und sein Tun.
Doch es klingt wie eine Erlaubnis, endlich sich offenen Herzens über Tuntiges auslachen zu dürfen. Es bleibt somit ein heikles Unterfangen, einen tatsächlich radikalen Film, der gut ist, weil er eben das Schwule nicht einfach für heterosexuelle Goutierbarkeit säubert, zu zeigen. Und er musste in die Kinos, weil - Cohen wusste das sehr genau schon bei der Recherche für seine Szenen - die schwule Szene nun mal auch bevölkert ist von all den Brünos, die auf ihre Weise berühmt werden wollen - und nicht klein beigeben, nicht aufstecken. Die falschen Lacher, ab Donnerstag in vielen Lichtspielhäusern, können verschmerzt werden. Denn das Böse, das sind die Homophoben, die Überirdisch-Liberalen, die Feinstsinnigen - und wer dennoch nur über die Aura Brünos sich lustig macht, sieht nicht: Dass er (oder sie) sich selbst in den fiesen Figuren, die Brüno im Wege stehen, nur allzu gut wiedererkennt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht