Saatgut-Skandal: Illegaler Gentech-Mais
Trotz Anbauverbot wächst auf 3.000 Hektar in sieben Bundesländern genmanipulierter Mais. Die Kontrollbehörden reagierten zu spät. Absicht, Unfähigkeit oder Schlamperei?
HANNOVER dpa | In sieben Bundesländern ist trotz eines Anbauverbots mit Genmais verunreinigter Mais angebaut worden. Das niedersächsische Landwirtschaftsministeriums bestätigte am Sonntag entsprechende Recherchen der Umweltschutzorganisation Greenpeace. Das Saatgut stammt von einer Firma aus Buxtehude. Nach Meinung von Greenpeace können Gesundheitsgefahren für Mensch und Tier nicht ausgeschlossen werden.
"Es handelt sich hier um den bisher größten Gentechnik-Saatgutskanal in Deutschland", sagte Greenpeace-Landwirtschaftsexperte Alexander Hissting. Das Landwirtschaftsministerium hat laut Greenpeace bereits Anfang März von der Verunreinigung erfahren, die Ergebnisse aber erst mit rund zwei Monaten Verzögerung an das Umweltministerium weitergeleitet.
Die Länder hatten sich darauf geeinigt, bis Ende März ihre Ergebnisse zu melden, um eine Aussaat von mit Genmais-Sorten verseuchtem Saatgut zu verhindern. Diese Frist wurde von Niedersachsen nicht eingehalten. "Entweder wurde hier bewusst geschlampt oder aus politischer Überzeugung bewusst in Kauf genommen, dass mit der Aussaat von Gen-Mais Fakten geschaffen werden", kritisierte Hissting.
Das niedersächsische Umweltministerium wurde tatsächlich erst am 27. April informiert, wie dessen Sprecherin Stefanie Becker bestätigte. Bislang habe es eine "bewährte Praxis" der Zusammenarbeit zwischen den Behörden in Niedersachsen gegeben. Warum es nun zu den Verzögerungen im Landwirtschafts-Ressort kam, wollte sie nicht direkt kommentieren: "Die Vorgänge gilt es auszuwerten und zu bewerten."
Es handele sich allerdings um freiwillige Kontrollen, sagte der Sprecher des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums, Gert Hahne: "Nicht wir sind für die Saatgut-Kontrollen zuständig, sondern die Hersteller." Die Verzögerung habe lediglich zwei bis drei Wochen betragen und sei keinesfalls absichtlich geschehen. "Die Verschwörungstheorien von Greenpeace sind absurd."
Eine weitere Verzögerung von einem Monat kam laut Umweltministerium dadurch zustande, dass der Hersteller sich zunächst weigerte, seine Kundendaten herauszugeben. Erst am vergangenen Freitag teilte die Firma mit, an welche Händler das verunreinigte Saatgut geliefert wurde.
Zuvor hatte das Verwaltungsgericht Stade entschieden, dass der Hersteller dazu verpflichtet ist. Die Richter begründeten dies damit, dass in den südlichen Bundesländern schon von einer Blüte der Pflanzen auszugehen ist und der verunreinigte Samen somit auf andere Felder übertragen werden kann.
Es handelt sich laut Umweltministerium um Händler in Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Greenpeace hatte zunächst nur von fünf Bundesländern berichtet. Das niedersächsische Umweltministerium gab die Daten noch am Freitag am die anderen Länder weiter. Die jeweiligen Länderbehörden müssen nun ihrerseits die örtlichen Händler und deren Abnehmer, also die Landwirte, informieren.
Das kontaminierte Saatgut wurde nach Greenpeace-Recherchen auf einer Fläche von 3000 Hektar ausgesät. Der Anteil von verunreinigtem Material an dem Samen beträgt bis zu 0,1 Prozent. Dies bedeutet den Angaben zufolge, dass auf einem Hektar immerhin 100 gentechnisch veränderte Pflanzen wachsen.
Der bereits gepflanzte Mais muss nun vernichtet werden. Selbst wenn er weiter angebaut und geerntet worden wäre, wäre dies laut Ministeriumssprecher Hahne unbedenklich gewesen: "Eine Gefährdung der Verbraucher steht nicht zur Diskussion." Schließlich werde die Sorte anders als in Europa unter anderem in den USA angebaut. Es gebe keine Studien, die eine Gefährdung der Gesundheit belegen.
Das sieht Greenpeace-Mitarbeiter Hissting ganz anders. Tierversuche mit der Genmais-Sorte hätten eine signifikante Erhöhung der Blutwerte von Leber und Niere bestätigt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Syrien nach Assad
„Feiert mit uns!“