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Saša Stanišić am Theater FreiburgMagie wohnt im Original

Das Theater Freiburg wagt sich an den letzten Roman von Saša Stanišić heran. Den Geniestreich sucht man in der großen Nacherzählung aber vergeblich.

Was hätte man aus der Vorlage alles herausholen können! Hier zu sehen: Martin Hohner, Mario Fuchs, Anja Schweitzer, Victor Calero Foto: Laura Nickel

Wenn schon die Realität in diesen Jahren wenig Anlass für Utopien gibt, so ist die Kunst umso mehr gefragt. Viele Intellektuelle – von Gustav Landauer bis zu Ernst Bloch – sahen in ihr den Ort des Möglichen. Auch der 1978 in Višegrad geborene Träger des Deutschen Buchpreises, Saša Stanišić, reiht sich spätestens seit seinem so aberwitzigen wie ingeniösen Roman „Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne“ in diese Traditionslinie ein.

Seine Figuren wollen sich partout nicht mit dem Status quo abfinden und sehnen sich allzu gern nach der Vergangenheit. So etwa die Reinigungskraft Dilek, die sich noch einmal ihre Jugend in der Türkei ins Gedächtnis ruft. Oder auch Gisel. Nachdem ihr Mann gestorben ist, lässt sie die gemeinsame Zeit während ihrer Friedhofsgänge vor ihrem geistigen Auge wiederauferstehen. Nicht fehlen will in diesem Reigen mit höchst unterschiedlichen Protagonisten der Autor selbst. Mit ihm gehen wir zurück zu seinen Schulfreuden und folgen ihm zu einem Besuch Helgolands.

Was an letzterer Story wahr und was Fiktion ist, bleibt offen. Genauso wie die Frage, wer eigentlich hinter der Erfindung des sogenannten Anproberaums steckt, mit dessen Hilfe sich die Figuren – und hier macht sich nun besonders das visionäre Erzählprogramm des Textes bemerkbar – in diverse alternative Lebensmodelle und Identität hineinprojizieren können.

Schon diese komplexe, literarische Struktur zusammenzufassen, erfordert einen langen Atem. Wie es da wohl jenen geht, die ihn auf die Bühne bringen wollen? Tatsächlich hat sich das Theater Freiburg dieser hehren Herausforderung gestellt, leider nicht mit allzu viel Geschick und Einfallsreichtum. Schon die minimalistische Kulisse offenbart nur wenige Akzente: Eine verschiebbare Gerüsttreppe sowie eine über dem Geschehen hängende Scheibe für Kameranahaufnahme, die sich zugleich als Mond verstehen lässt, deuten an: Hier geht es um Überschreitung, um die Option, in einen anderen Kosmos eintreten zu können.

Das Stück

„Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne“ am Theater Freiburg. Wieder am 14., 17., 25. Mai sowie am 1., 6., 9., 22. Juni

Platzende Seifenblasen

Gleiches gilt für die den Abend rahmenden Seifenblasen. Sowohl zu Beginn als auch am Ende gleiten sie von der Decke, übrigens ohne am Boden direkt zu platzen. Träume, so die Botschaft, können sich erfüllen, sofern man die Entschlossenheit dafür aufbringt. Dass die Welt überhaupt mehr Licht als Finsternis birgt, darauf sollen zudem die mobilen Leuchtstäbe hinweisen. Zumeist nutzen die Dar­stel­le­r:in­nen sie, um den Ortswechsel der ineinander verflochtenen Erzählstränge zu markieren.

Das alles sind zwar treffende, aber auch wenig originäre Bilder. Warum man in Freiburg ein vor Fantasiefunken nur so sprühendes Prosawerk derartig reduktionistisch in Szene setzt? Bestenfalls damit doch die Vorstellungskraft mehr Raum erhält, schlimmstenfalls weil die Kreativität fehlt.

So oder so zieht sich diese Uraufführung. Dynamik entsteht hier und da allein durch ein wenig Komik. Zum Beispiel wenn bei einem Doppelkopfabend die Figur Mo zu sphärischer Musik und in einer Art Raumanzug auftritt. Dadurch will er sich vor einer neuen Fliegenplage schützen. Dass das von ihm mitgebrachte Sprühgift dann noch alle Anwesenden in Halluzinationen versetzt und sie in Zeitlupe dümmlich-beseelt über die Bühne taumeln, hat durchaus Witz. Auch diverse Raps und kleinere Gesangseinlagen tragen noch zur Unterhaltung bei.

Nur; was hätte man aus der Vorlage nicht alles herausholen können!? Sei es der Anproberaum als denkbare künstliche Intelligenz oder die in vielen Storys präsente Armut – der Text arbeitet sich an genügend gesellschaftsrelevanten Themen ab. Lediglich ein Sujet spielt eine größere Rolle, nämlich jenes der Freiheit. Markanter als im Roman stellt Glause dafür den deutschen Exilschriftsteller Heinrich Heine als Vorbild heraus, mit dem sich Stanišić, einst mit seinen Eltern vor dem Bosnienkrieg geflohen, ausdrücklich im Roman identifiziert.

Der Dichter auf der Schwelle zwischen Romantik und Vormärzrevolution, er erscheint in Freiburg leibhaftig auf der Bühne, als Leitfigur und Vordenker für eine demokratische und gerechte Zukunft. So wichtig dieser Impuls anmutet, so schnell verpufft er an diesem Abend wieder. Er erweist sich als mager und ambitionslos, da er den Text mehr illustriert als ihn in etwas Eigenes zu überführen. Statt eine frische, ja mutige Idee zu entwickeln, erzählt die Regie gemütlich nach. Der einzige Rat lautet daher: Greifen Sie in diesem Fall besser zum Original und lesen Sie, wie Magie funktioniert.

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