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■ SURFBRETTWem der Kuckuck schlägt

Wer ganze Nächte damit verbringt, im World Wide Web zu surfen, hat sowieso ne Macke. Falls jemand doch daran zweifeln sollte, läßt sich der Beweis leicht führen. Im Web natürlich, wo sonst? „The Asylum“ heißt die Irrenanstalt unter http://www.galcit.galtech.edu/~ta/cgi-bin/ asylhome-ta. Wer sich in die „schizophrenics hotlist“ einträgt, kann sich hier auch gleich behandeln lassen – als hoffnungsloser Fall, auf Wunsch mit eigener Homepage.

Vielleicht hilft aber schon die Schriftstellertherapie weiter: Wer seit Jahren versucht, den Roman des Lebens den Verlagen der realen Welt anzudienen, kann hier sein Leiden endlich kurieren. Der Anfang ist leicht: Schafft man es, einen vollständigen Satz auf den Bildschirm zu bringen und dabei auch noch irgendeinen Sinn zu fabrizieren, hat man die erste Hürde schon genommen. Der nächste Schritt ist schon schwieriger. Ziel ist es, sich entweder so kurz wie nötig oder so ausufernd wie möglich zu fassen. So ist der mutmaßlich längste Roman des Internet entstanden: Urschreie, Flüche, Lautmalereien, zärtliche Bekenntnisse, alles. Fast unmöglich ist es, dieses Riesenwerk zu lesen. Nur war das auch nicht Sinn und Zweck der Sache, und, Hand aufs Herz: Auch einen Arno Schmidt hat noch niemand von Anfang bis Ende durchgelesen. Wer so etwas behauptet, lügt oder versteht nichts von Kunst.

Wer die Schreiberei nicht mag, nimmt an einem Malkurs teil. Zwei virtuelle Ausstellungsräume lassen an eine Renaissance des Pixelismus glauben. Fast alles ist hübscher als die Icons von Bill Gates. Und alles ist ebenso clickable. „Der Vogel ist gestorben, warum probiert ihr nicht einfach unsere neue Kuckucksuhr?“ Auch der anstaltseigene Mülleimer kann mit der Maus durchwühlt werden. Spätestens dann ist das von allen geliebte Haustierchen nicht mehr zu vermeiden, der Kakerlak Wysiwyg. Der Name bedeutet „What you see is what you get“. Selber schuld also, du hast gewollt, daß es nun so aussieht. Wysiwyg nimmt überaus rege am Anstaltsleben teil, sitzt dabei, wenn alle zusammen im Aufenthaltsraum die neuste Folge von Baywatch anschauen, und klaut die Kartoffelchips.

Auch Wysiwyg ist clickable: Mit der Maus können Gäste und Insassen darüber entscheiden, ob sie lieb zu ihr sein möchten (Aw. Shes Cute!) oder sie totschlagen wollen (Ugh. Kill It!). Die Herzlosen, die das zweite tun, werden durch Mißerfolg bestraft, und bereuen sofort: Cyberwanzen leben ewig. Dieter Grönling

70007.5047@compuserve.com

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