■ SURFBRETT: Mit Herzklopfen und Küßchen
Mag ja sein, daß das Internet die großartigste Bibliothek der Welt ist. Hinter dem Bildschirm sitzen trotzdem nicht nur kluge Köpfe, sondern auch rote Ohren. Kein Gesetz kann daran etwas ändern, und das perfekteste Computernetz wäre nur eine trostlose Wüste, wenn dieses eine fehlen würde, an das wir immer denken. Alles weitere ist eine Frage des Geschmacks, nicht der Moral, und in dieser Hinsicht ist das World Wide Web leider noch tiefste Provinz. Mit ein paar wenigen Ausnahmen allerdings, eine davon ist der „Smut Shack“ von Bianca Troll, mit produziert vom Online-Magazin Hotwired, http://bianca.com/shack/.
Bianca ist ihrer Sache sehr sicher, sie verzichtet deshalb völlig auf die inzwischen übliche, aber vollkommen lächerliche Warnung, daß Minderjährige fernbleiben sollen, weil diese Site sexuelles Material enthält. Als ob Kinder nicht Bescheid wüßten. Wie eine Kinderzeichnung sieht deshalb auch die Schmuddelhütte auf der Homepage aus, darunter steht nur der Satz „Bianca liebt euch“. Es folgt der ebenfalls ungelenk gekritzelte Grundriß einer Wohnung. Alle ihre Räume sind anklickbar, die Küche, das Schlafzimmer, das Bad und sogar das Klo. Überall scheint Bianca tausend kleine Geheimnisse versteckt zu haben, wir dürfen ihr Spielzeug betrachten und in ihrem intimen Tagebuch lesen. Ihr größtes Geheimnis jedoch besteht darin, daß sie gar nicht zeigt, was wir nicht selbst mitbringen. Die wichtigste Einrichtung dieser Lustwohnung sind deshalb Mailforen und Online-Konferenzen, beide ganz hervorragend auf der Basis der neuen Java- Technik programmiert.
Rund um die Uhr sind immer ein paar Dutzend Leute mit Herzklopfen anzutreffen, und was sie sich zu sagen haben, unterliegt nicht der geringsten Zensur. Auch die Unterscheidung zwischen Pornographie und Erotik entfällt. Sie war nie angemessen. Erotik ist pornographisch, ist Schmuddelkram. Manche der Zwiegespräche sind rührend schüchtern, manche katastrophal mißlungen, manche aber auch sehr direkt. Das Reden über das eine fällt leichter, weil niemand seinen Namen oder auch nur sein wahres Geschlecht offenbaren muß.
Man kann Mitglied werden in Biancas Club, es kostet zehn Dollar im Jahr. Aber fast alles ist auch ohne Paßwort zugänglich. Zu den wenigen Grundregeln des Hauses gehört nur, daß man Bianca nicht ohne Kuß verlassen darf. Aber wer ist Bianca? Vielleicht nur ein Computer. Er hält uns lächelnd einen Spiegel vor. Bianca sind wir alle. niklaus@taz.de
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