STREIT IN DER PALÄSTINENSERFÜHRUNG: CHANCE FÜR MEHR DEMOKRATIE : Die Rebellion der Basis
Im Nahen Osten tut sich was. Nachdem Likud-Chef Ariel Scharon vor ein paar Wochen Abschied von seiner Partei nahm, folgt Marwan Barghuti, Chef der Fatah im Westjordanland, seinem Beispiel und löst sich von der Fatah. Mit seiner neuen Liste „Die Zukunft“ hofft er auf ähnliche Erfolge, wie sie Scharons „Kadima“, die nach Umfragen weit vor allen anderen Parteien liegt, bereits genießt. Die Gemeinsamkeiten der Entwicklungen an den beiden Konfliktfronten sind jedoch begrenzt: Während Scharon von der rebellierenden Basis vertrieben wurde, ist Barghutis Schritt genau umgekehrt eine Kampfansage der Basis an die korrupte und undemokratische Führung.
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas ist ein Mann der schönen Worte, ein Mann, der gern großzügige Versprechen macht, an die er sich dann doch nicht hält. So geschehen Anfang des Jahres, als Barghuti seine Gegenkandidatur bei den Präsidentschaftswahlen zurückzog, nachdem ihm zugesagt wurde, dass noch im laufenden Jahr Wahlen in den zentralen Parteigremien abgehalten werden. Ein Prozess, der bis heute nicht abgeschlossen ist. Um in den Fatah-Zentralrat zu kommen, so scheint es, muss der Nachwuchs erst abwarten, bis die alte Garde ausgestorben ist. Der parteiinterne Führungsstil lässt Assoziationen an den Vorgänger von Abbas aufkommen. Der vor gut einem Jahr verstorbene Palästinenserpräsident und Fatah-Chef Jassir Arafat hielt nichts von Wahlen; noch weniger davon, sich an Wahlergebnisse zu halten. Er setzte Getreue lieber selbst auf hohe Ämter.
Abbas verschob kurzerhand den Termin für die bereits Mitte dieses Jahres geplanten Parlamentswahlen, weil er hoffte, aus dem israelischen Abzug aus dem Gaza-Streifen im August politisches Kapital schlagen zu können. Und er brach erneut ein Versprechen – nämlich die Kandidatenlisten zu respektieren –, als er einsehen musste, dass die im Exil befindliche alte PLO-Garde nicht so populär ist wie die Parteijugend, die in den Jahren der Intifada den Kopf hinhielt. An dem Palästinenserpräsidenten ist es jetzt, seine Demokratie-Lektion nachzuholen.
Nur schade, dass das alles so kurz vor dem Wahltermin stattfindet. Denn ob sich das Scharon’sche Modell auf Barghuti übertragen lässt und er nach Abspaltung von der alten Partei gestärkt in den Wahlkampf gehen kann, ist ungewiss. Er genießt zwar eine große Popularität, lag aber in den Umfragen bislang immer hinter Abbas. Vorläufig kann sich die Hamas ins Fäustchen lachen. Ein zerstrittener Gegner ist zuerst einmal ein geschwächter Gegner. SUSANNE KNAUL