STRATEGIEN GEGEN AIDS GIBT ES GENUG, UMGESETZT WERDEN SIE ZU WENIG : Falsche Prioritäten
Es ist eine herbe Ernüchterung. Trotz aller Präventions- und Behandlungsprogramme, trotz der massiven Ausweitung internationaler Finanzhilfen für die Bekämpfung von HIV/Aids breitet sich die Epidemie schneller aus als jemals zuvor. 4,8 Millionen Neuinfektionen in einem Jahr und 5,6 Millionen Todesfälle seit Sommer 2002 – das sind unvorstellbare Dimensionen, die jede Bemühung für eine effektive Seuchenbekämpfung zunichte zu machen scheinen. Es ist ja nicht so, dass man erst noch herausfinden müsste, wie eine Ansteckung mit dem HI-Virus zu vermeiden wäre oder wie das Leben eines Infizierten menschenwürdig gestaltet werden könnte. Das ist alles bekannt, und die Regierungen der Welt sind sich über die Notwendigkeit der Aidsbekämpfung einiger als über jedes andere Thema. Und trotzdem: Nach mehreren Jahren des Rückgangs steigen die Zahlen der Neuinfektionen – 2002 leicht, 2003 stark.
Ist es ein Zufall, dass dieser neue Trend zusammenfällt mit dem „Krieg gegen den Terror“ und der damit verbundenen kompletten Neuausrichtung der internationalen Politik? Trotz aller Kritik an der Ineffektivität von Entwicklungshilfe hängen die Gesundheitsbudgets armer Länder nun einmal stark von ausländischen Finanzhilfen ab, und das Funktionieren von Krankenhäusern und medizinischer Versorgung gerade in Krisengebieten ist darüber hinaus stark auf den Einsatz internationaler Hilfsorganisationen und Freiwilliger angewiesen. All diese Aktivitäten gehen aber gegenwärtig merklich zurück. Die staatliche Entwicklungshilfe wird gekürzt, die Bereitschaft zum privaten Engagement in fernen Ländern sinkt in dem Ausmaß, in dem das gefühlte Risiko steigt. Die Abkoppelung ganzer Weltgegenden aus der „internationalen Gemeinschaft“ ist längst Realität.
Darunter leiden eben auch die besten Programme zur Aidsbekämpfung. „HIV-Übertragung ist kein zufälliges Ereignis; die Ausbreitung des Virus wird von den umliegenden sozialen, ökonomischen und politischen Bedingungen grundlegend beeinflusst“, schreibt die UN-Aidsbekämpfungsbehörde UN-Aids in ihrem Bericht. „Wo Menschen gegen schwierige Umstände ankämpfen, wie Armut, Unterdrückung, Diskriminierung und Analphabetentum, sind sie besonders verwundbar.“
Es gibt keinen Grund, den Kampf gegen einen Killer wie Aids und auch andere verheerende Krankheiten wie Malaria nicht genauso ernst zu nehmen wie den Kampf gegen Massenvernichtungswaffen und Terroristen. Die internationale Gemeinschaft weiß das natürlich. Sie muss es nur umsetzen. DOMINIC JOHNSON