■ START II soll in aller Eile unter Dach und Fach: Besser jetzt als nie
Vor sechs Monaten hatten die Präsidenten George Bush und Boris Jelzin bei ihrer letzten Begegnung in Camp David bereits die Grundlagen des START-II- Vertrages vereinbart – eine Reduzierung der strategischen Atomwaffenarsenale der USA und Rußlands um zwei Drittel bis zum Jahre 2003. Sechs Monate lang schien die Fertigstellung des Abkommens in all seinen Details weder in Moskau noch in Washington besonders vorrangig zu sein. Jetzt jedoch wollen die beiden Außenminister Lawrence Eagleburger und Andrej Kosyrew bei ihrem gestern begonnenen Treffen in Genf die noch vorhandenen Differenzen bis spätestens heute abend klären.
Für die plötzliche Eile gibt es eine Reihe von Motiven. Zunächst einmal hat in Washington in den letzten Wochen die Sorge wieder zugenommen, das strategische Atomwaffenarsenal der Ex-Sowjetunion könne außer Kontrolle geraten. Dazu beigetragen haben zum einen die jüngsten innenpolitischen Turbulenzen in Rußland. Aus diesen sind die Reformkräfte geschwächt hervorgegangen, der nach wie vor bestehende militärisch-industrielle Komplex hat an Einfluß gewonnen. Die Rede, mit der Kosyrew Mitte Dezember seine KSZE-Außenministerkollegen in Stockholm schockte, machte Washington drastisch deutlich, wie sich die Außenpolitik entwickeln könnte, sollten Jelzin und Kosyrew abgesetzt werden. Die Tatsache, daß der russische Außenminister zu den Genfer Gesprächen mit Eagleburger in Begleitung seines Verteidigungsministers Pawel Gratschow erschien, ist ein Indiz für den gewachsenen Einfluß der russischen Militärs auf die Außenpolitik.
Zum zweiten ist Washington beunruhigt, weil der ukrainische Präsident Krawtschuk von früheren Zusagen abgerückt ist, den START-I-Vertrag zu ratifizieren und die auf ukrainischem Territorium stationierten Atomwaffen innerhalb bestimmter Fristen an Rußland zu übergeben. Aber hinter der Eile, mit der jetzt auf die Fertigstellung des START-II-Abkommens gedrängt wird, steckt auch das Interesse von US- Präsident Bush, vor seinem Abtritt am 20.Januar noch einmal auf dem von ihm so bevorzugten internationalen Parkett zu glänzen. Was wäre dazu besser geeignet als ein Gipfeltreffen mit Jelzin, möglicherweise gleich zu Anfang nächsten Jahres im Kurort Sotschi an der russischen Schwarzmeerküste? An prestigeträchtigen Auslandsauftritten hat auch Jelzin ein Interesse, der aus den jüngsten innenpolitischen Auseinandersetzungen schwer angeschlagen hervorgegangen ist.
Angesichts dieser Interessenlagen spräche eigentlich alles dafür, daß sich die beiden Außenminister bis heute abend in Genf einigen werden. Eagleburger gab sich zum Auftakt der Gespräche zumindest verhalten optimistisch. Zugleich erklärte er aber auch, daß die USA bereits einige Konzessionen gemacht hätten. Was diplomatisch verklausuliert die Aufforderung an die Russen bedeutet, nun ihrerseits Zugeständnisse zu machen. So ganz bedeutungslos, wie ein Moskauer Regierungssprecher noch vor einigen Tagen behauptete, sind die Differenzen also doch nicht. Andreas Zumach, Genf
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