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■ STANDBILDWeihnachtsgans und rohe Klöße aus der Tüte

(ARD-Ratgeber: Essen und Trinken, So., 11.12., 17 Uhr) Die Diven aus Bettelstudent und Fledermaus gratulierten sichtbar erleichtert: der kokette Greis war noch auf den Beinen, Reanimation überflüssig. Johannes Heesters ging, der Beifall war endenwollend. Die Frischzellen-Implanteure der Lebensmittel-Industrien betreten die Bühne, ARD-Ratgeber Essen und Trinken serviert ein internationales Weihnachtsmenü: Rohkost (Karotten, Sellerie, Rote Beete, Feldsalat) als „Crudites“, deutsches (wegen der Äpfel!) Tiramisu als Dessert, dazwischen marschiert der rechte Bismarck des Geflügelhofs, die Gans, vor der der edle und gute Mensch sich voll Achtung und Bewunderung neigt. Rotkohl und rohe Klöße als Beilage, Füllung aus Äpfeln und Porree.

In der Zeit schlimmsten Facharbeitermangels hätte kein Koch die Gehilfenprüfung bestanden mit dieser Probe seines Könnens: Äpfel in der Gans, im Rotkohl und im Dessert, das ist zweimal zuviel; Gans stümperhaft gebunden und die Brust am Ende schwarz, Brandenburger Art; Senfsauce für Rohkost als „Vinaigrette“ bezeichnet; Dessert mit nichteßbarer Garnitur dekoriert; dicke Blattrippen des Rotkohls nicht entfernt; Fond durch schlichtes Abgießen entfettet; Schenkel dilettantisch tranchiert.

Haben Martina und Bernd, die Akteure in Topf und Pfanne, ihr Handwerk in der Mensa oder im Kombinat Schwarze Pumpe gelernt? Nein, aber sie zeigen uns den Weg dorthin. Empfehlen rohe Klöße aus der Tüte (“ein Segen“), entblöden sich nicht, gefrorenes Federvieh als gleichwertig mit frischem einzustufen, vorausgesetzt, es wurde sachgemäß eingefroren und auch aufgetaut. Und dann die Sauce: Sie ist ein tiefes Rätsel. Woher bezieht sie ihre Farbe? Aus der angewandten Bratmethode jedenfalls nicht. Also auch aus der Tüte?

Pardon, war das zu indiskret? Zur Abbitte will ich jetzt im Loben die pädagogische Hauptregel beherzigen: Das Menü ist ja nicht nur eine praktische Tat des Herstellens, sondern auch eine soziale des Verzehrs. Dazu gehört die angemessene Garderobe, die fein gedeckte Tafel, das gediegene Meublement im winterlichen Landhaus, überhaupt die ganze Atmosphäre: das gute Gespräch, schlicht, verbindlich, volkstümlich aber substantiell, ausgearbeitete Höflichkeiten, Manieren, eine gewisse Saturiertheit der Tafelfreunde, die, so ist es recht, das gute Maß der Subversion sich erhalten hat, indem sie Lausbub in der Küche spielt beim Abpolken der Carcasse, nichts war hier zu bemängeln.

Doch ist damit alles für das Menü geleistet? Es fehlt noch was, der besondere Hauch, die Aura. Doch auch hier ist der Ratgeber nicht zu tadeln, ganz im Gegenteil, er erteilt uns eine Lektion: Das internationale Ambiente ist, bei genauerem Hinsehen, wesensgleich und identisch mit der lukullischen Begehrlichkeit des deutschen Bauches und des deutschen Gemüts. Gehen wir in die Fremde, werden wir international, so finden wir immer nur uns selbst. Oder umgekehrt: Der Fremde, der bei uns einkehrt, findet die eigene Heimat und wird so leichten Herzens zum „Rotkohlfanatiker“. Das hat Bestand, das soll so bleiben.

Rainer Markwitz

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