STANDBILD: Präsentation eines Jubiläums
■ Die Bilder vom Mauerfall allein halten den Spannungsbogen nicht
Als vor einem Jahr die Mauer fiel und die Menschen in einem Freudentaumel die Grenzen stürmten, da war alles ganz einfach, man schickte die Reporter an den Ort des Geschehens, hielt die Kamera drauf und hatte die besten Bilder im Kasten. Der überbordende Jubel trieb selbst dem abgebrühtesten Zeitgenossen die Rührung in die Augen und das Fernsehen hatte die Zuschauer auf seiner Seite.
Auch ein Jahr später — der Jubel ist vorbei — sind diese Bilder nicht schal geworden. Doch reiht man sie aneinander, macht eine Dokumentation daraus, ergänzt sie mit den obligaten Interviews ein Jahr danach, dann wirkt das alles ziemlich hausbacken (Donnerstag, „Wer jetzt schläft, der ist tot“, ZDF, 21.00 Uhr). Die Bilder von damals reihen sich ein in die Bilderflut, die sich allabendlich aus unserer Glotze ergießt: Brandt in Bagdad, Gorbatschow in Bonn, die jubelnden Berliner am Brandenburger Tor. Da der aktuelle Bezug nicht mehr gegeben ist, können selbst die authentischen Bilder von damals den nötigen Spannungsbogen nicht halten.
Auch der Kunstgriff, die Entwicklung des geteilten Berlins an Hand der Lebensgeschichte zweier Schwestern zu dokumentieren, die durch die Mauer getrennt waren, trägt nicht („Eine deutsche Geschichte“, Freitag, ZDF, 22.15 Uhr). Zwar wird beispielsweise deutlich, welche Erleichterung die Passierscheinregelung für die Familien damals brachte und auch die Präsentation des Sohnes, der von der Bundesrepublik freigekauft wurde (natürlich mit Frau und Kind auf der Couch), erinnert an eine fast unwirkliche Zeit, ansonsten aber erstickt der Film an der Mitteilsamkeit der Betroffenen. Zwar ist die gute Absicht in jeder Szene spürbar, das Ganze gerät aber eher zu einem Einblick in das Berliner Milieu von heute, zu einer Studie über die Armut kleiner Leute, mitsamt Ehe- und Kinderproblematik, als zu einem Dokument familialer Zerissenheit. Allzusehr bleibt der Beitrag dem Privaten verhaftet, ohne daß der Bezug zum Allgemeinen gelänge.
Daß das Genre Dokumentation aber keineswegs ausgereizt wurde, zeigt Marcel Ophüls (Freitag, „Novembertage — Stimmen und Wege“, DFF 2, 20.00 Uhr und 23.15 Uhr auf RTLplus), der bei seinen Fragen an Täter und Opfer die übliche Zurückhaltung des Dokumentaristen zurücknimmt. Er macht seine subjektive Sichtweise zum Erkenntnismotor und blättert die Geschichte der DDR auf, Seite um Seite, Schicht um Schicht. Ob Egon Krenz, Günther Schabowski, Markus Wolff, Kurt Masur, Bärbel Bohley, Heiner Müller oder Stefan Hermlin, sie alle hat er, in der ihm eigenen Weise, einfühlsam und doch konsequent befragt. Als einzig Kurt Masur sich verweigert, dem Filmemacher das Recht auf eine Frage abspricht, wird das nicht vornehm verschwiegen, sondern zum Bestandteil des Filmes gemacht.
Es sind aber nicht nur die Fragen, mit denen Ophüls zum Ausdruck bringt, daß er parteiisch und mit Sympathie die Entwicklung in der DDR verfolgt: Indem er die Interviews durch eingeschnittene Filmsequenzen ergänzt, sie dadurch kommentiert und karikiert, verläß er die Ebene der dokumentarischen Objektivität. Das wirkt zwar anfänglich befremdlich, durch dieses Stilmittel gelingt es aber, das individuell Besondere in den allgemeinen Zusammenhang zu verweisen. Amüsant und Reizvoll ist es zudem.
Auch wenn Ophüls auf einige Einstellungen hätte verzichten können — warum das Gespräch mit Walter Momper in den schwindelnden Höhen eines Daches? — hat er mit diesem Film doch die Vielschichtigkeit des Phänomens „DDR“, ihrer Geschichte und ihrer Kultur, vor allem aber die Komplexität der DDR-Seele freigelegt. Mit der einfachen Reproduktion authentischer Bilder konnte das nicht mehr gelingen. Karl-Heinz Stamm
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