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STANDBILDDie Grube der Erkenntnis

■ "Echt falsch": Ein Tag der Wahrheit auf "3 Sat"

Ich weiß ja nun auch nicht, ob es wesentlich ist oder nicht wesentlich, ob es echt ist oder nicht echt. Aber es ist wirklich wahr.“ So die Zeugin des wohl erstaunlichsten Absturzes, den die Stadt Wuppertal je erlebte. 1950 hatte der Elefant Tuffi die Seitenwand der berühmten Schwebebahn durchbrochen, war 12 Meter tief in die Wupper gestürzt und anschließend lebend geborgen worden. Volker Andings Dokumentarfilm über dieses Unding — oder ist das etwa wirklich passiert??? — eröffnete am Mittwoch um 12 Uhr einen Fernsehtag, wie es ihn noch nie gab: einen Tag der Wahrheit. Für 24 Stunden streifte das Medium den Nimbus der Lüge und der Manipulation von Wirklichkeit ab, indem es ihn am laufenden Band produzierte: Fälschung und Simulation, Täuschung und Lüge, Imitation und Mimikry waren das Thema, dem sich „3 Sat“ unter dem Titel „Echt falsch“ rund um die Uhr widmete. Daß dies am Buß-Tag geschah und nicht am 1. April, an dem die neckischen TV-Leute schon mal ein Entchen aufs mediale Wasser lassen, muß als großer Fortschritt gelten, Buß-Tage wie dieser — mit fiktiven Werbe-Spots und Dagmar Berghoff in der Fake-Tagesschau — sollten künftig jedes Jahr statt finden — als Abbitte dafür, mit welcher Hemmungslosigkeit Fernsehen an allen anderen Tagen „Wahrheit“ produziert. Seine Landkarten werden von den Zuschauern als Landschaft wahrgenommen, allein auf dieser Verwechslung beruht die „Autorität“ des Fernsehns. In „Echt falsch“ wurde sie, in einem beispielhaften Akt der Selbstentwaffnung, effektiv untergraben.

Wieviele Zuschauer in die Grube der Erkenntnis gestolpert sind, darüber könnten u.a. die Buchhandlungen des Landes Auskunft geben, wenn nach Otto A. Böhmers Film über den Erfinder der „Tagtraum- Therapie“ (TTT) dutzendweise Bestellungen des Hauptwerks eines gewissen Adalbert von Zagens bei ihnen einlaufen. Wäre ich in dieses (einfühlsame) Porträt eines verfemten Traum-Therapeuten geraten, ohne die Meta-Schiene des Programms zu kennen, ich hätte mich angesichts der tiefgründigen Banalität und einfachen Wahrheit dieser Fälschung glatt zur Bestellung eines Ansichtsexemplars entschlossen. Glück, so die Topoi der Zagenschen Theorie, besteht allein darin, die Realität mit dem Tagtraum in Deckung zu bringen, dem Therapeuten obliegt in Sachen Traum nicht Interpretation und Analyse, sondern auschließlich Geburtshilfe. Um letztere ging es auch in Manfred Waffenders Magazin „Wunderbare Welt der Wissenschaft“: der Neo-Kosmologe Micky Remann forderte Schwangerschaftshilfe für eine Dame, die alles andere als ein Traumwesen ist — Mutter Erde. Im Anschluß an James Lovelocks „Gaia“-Hypothese, derzufolge es sich bei unserem Planeten nicht um einen Klumpen Stein, sondern um ein Lebewesen handelt, hat das Insitut für Neo-Kosmologie herausgefunden, daß Gaia seit einiger Zeit schwanger ist. Die Befunde, so Remann, seien abgeschloßen und ebenso eindeutig wie die Forderungen, die daraus erwüchsen: Gebär- und Mutterschaftsschutz in Form eines ökologischen Moratoriums.

Drei Gesprächsrunden, moderiert vom Leiter des Frankfurter Institus für Neue Medien, Peter Weibel, gingen dem Echten im Falschen diskursiv nach — über „Die ganz gewöhnliche Fälschung“, „Das Lob der Lüge“ und „Das Ende der glaubwürdigen Bilder“ waren Experten vom Hitler-Fälscher Konrad Kujau bis zum Medien-Theoretiker Friedrich A. Kittler geladen. Was schon die Filmbeiträge demonstrierten, wurde auch in den Diskussionen deutlich: daß die Fälschung in unlauterer Absicht alltäglich ist und es im Grunde immer war. Das beginnt mit Molekülen und Viren, die sich getarnt irgendwo einschleichen und endet mit der Nachricht, das Konrad Kujau in Japan jetzt zum zweiten Mal zum beliebtesten zeitgenössichen Europäer gewählt wurde. Unglaublich, aber wahr. Die japanische Kultur, so der Kopist Kujau, sieht in der Imitation einen sehr viel kreativeren Akt als die europäische. Eine Beobachtung, die nicht nur für die Ästhetik gilt: Die dumpfe Wahrheitsliebe des Abendlands hat die japanische Technologie noch als billige Fernost-Kopien belächelt, als ihre Kreationen schon längst dabei waren, den Weltmarkt zu erobern... Mathias Bröckers

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