■ STADTMITTE: "They Fire Next Time"
»They Fire Next Time«
— Das war vor dreißig Jahren die prophetische Drohung eines so sensiblen Radikalen-Kenners seiner amerikanischen Gesellschaft wie James Baldwin: Wenn nämlich die weiße Mittelklasse, sprich Wohlstandsgesellschaft sich weiterhin der schwarzen Erfahrung dieser Gesellschaft, aber eben ihrer Erfahrung von unten, verschließe, wenn sie sich ihr nicht produktiv öffne und dabei sich auch selbst verändere. Jetzt hat es gebrannt — aber es war nicht das Feuer, auf das Baldwin und die schwarzen Revolutionsstrategen gesetzt, vor dem sie gewarnt oder das sie sich erhofft hatten. Es war nicht das Feuer der politischen Bewußtheit, des kanalisierten Zornes gegen die repressiven Strukturen der weißen kapitalistischen Staatsgewalt. Schließlich haben die gewalttätigen Menschen ja nicht die Gerichtsgebäude und die Rathäuser, nicht die Sitze und Symbole der weißen Klassenherrschaft gestürmt, sondern sie haben, wenn wir richtig informiert wurden, vor allem geplündert, und das nicht zuletzt in den Läden wieder anderer nichtweißer Minderheiten, von Koreanern zum Beispiel. Es war das Feuer einer psychischen Misere und Orientierungslosigkeit, von der sich einen wirklichen Begriff zu machen schwerfällt, wenn es nicht gar unmöglich ist: Die Parameter der schwarz-weißen Klassengesellschaft greifen da nicht mehr (so wenig sie etwa, ihrer Rassen-Aspekte entkleidet, in Kreuzberg greifen). Spike Lees erfolgreicher Film Do the Right Thing hat — 1989 — genau das vorgeführt, was jetzt in großem Maßstab Wirklichkeit wurde. Aber die Frage nach dem Warum und dem Wozu der Gewalt, die hat der Film damals so wenig beantworten können, wie wir es für die Wirklichkeit heute in der Lage sind zu tun.
Das politische, das Klassenbewußtsein, ist auf den Hund gekommen — nicht nur in den USA. Übriggeblieben ist eine sogenannte soziale Frage. Aber übriggeblieben — oder richtiger: neu und radikal wieder zu stellen — ist die Frage, was eigentlich Gesellschaft konstitutiert, was die vielfältigen, ungeschriebenen Voraussetzungen dafür sind, daß Menschen kooperativ-solidarisch miteinander leben und umgehen, oder eben umgekehrt, warum der alltäglich-friedliche Umgang sich plötzlich als ein dünner Firnis des Zivilisatorischen über einem Potential von Gewalt und Aggressivität erweist. Diese Schutzschicht über dem kollektiven Gewaltpotential ist in den verschiedenen Gesellschaften unterschiedlich dick oder dünn. Welcher Jugoslawien-Besucher hat auch nur in der kühnsten Phantasie sich vorstellen können, daß Sarajevo, Dubrovnik oder Mostar Kriegsschauplätze für die eigenen Leute werden könnten.
Die USA sind auf dem unaufhaltsamen Weg zu einer nicht nur multikulturellen, sondern auch zu einer nicht mehr dominant-weißen Gesellschaft. Während ein solcher dramatischer, historisch aufregender und alle Anteilnahme verdienender Prozeß eine Steigerung, ein Mehr an Politisierung, an politischer Bewußtheit, an aktiver Partizipation am Gemeinwesen verlangt, hat die politische Klasse systematisch und bewußt die Entpolitisierung der Gesellschaft betrieben, denn damit regiert es sich leichter, scheint Herrschaft besser gesichert zu sein. Eine entpolitisierte Gesellschaft aber nimmt dann ihre Konflikte so wahr, wie sie sich oberflächlich abbilden — sie zerfällt zum Beispiel in ethnische Gruppen und plündert die Tempel der Konsumgesellschaft.
Was das Feuer hinterläßt, sind ausgebrannte Löcher in der Stadtlandschaft des Kapitalismus. Der Markt wird sie schnell und profitabel wieder füllen. Aber an das politische Vakuum, das Erbe nicht erst des Reaganismus, das wird und will niemand auffüllen (die Regenbogenkoalition von Jesse Jackson war noch so ein letzter Versuch gewesen). Das Ganze ist ein Lehrstück auch für Deutschland — wenn wir es ohne falsche Besserwisserei zu lesen versuchen.
Ekkehart Krippendorf ist Professor für Politische Wissenschaften an der Freien Universität Berlin. In der taz- Rubrik Stadtmitte schreiben Persönlichkeiten zu wichtigen Problemen der zusammenwachsenden Stadt.
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