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Archiv-Artikel

STADTGESPRÄCH Ampelmännchen? Von wegen, Homo-Pärchen!

MIT EINEM DIVERSITY-EXPERIMENT WILL WIEN AUCH DIE VERKEHRSSICHERHEIT ERHÖHEN

Geduldig warten zwei rote Frauen an der Straßenkreuzung. Dann schaltet die Ampel um und zwei grüne Männlein schreiten Hand in Hand über den Zebrastreifen. Ein Herzchen zwischen den Köpfen beseitigt alle Zweifel: Wer dieser Tage den Universitätsring bei der Uni Wien überquert, setzt sich einem Diversity-Experiment der österreichischen Hauptstadt aus. 49 Straßenkreuzungen sollen in den kommenden Tagen von den üblichen geschlechtslosen Männchen auf gegenderte Paare umgestellt werden. Auch ein Hetero-Pärchen ist vorgesehen – mit Schmetterlingen im Bauch. „Vielfalt ist in Wien kein Lippenbekenntnis“, sagt Wolfgang Wilhelm, Leiter der Wiener Antidiskriminierungsstelle für gleichgeschlechtliche und transgender Lebensweisen.

Innerhalb weniger Wochen wird in Wien gleich dreimal die Regenbogenfahne gehisst. Diesen Samstag geht im Rathaus der Life Ball über die Bühne – die prominent besetzte größte AIDS-Charity der Welt. Kommendes Wochenende – Conchita sei Dank – richtet Wien den Eurovision Song Contest aus. Und Anfang Juni zieht die Gay-Parade über die Ringstraße. Insgesamt werden mehrere 100.000 Besucherinnen und Besucher erwartet.

Die lesbischen und schwulen Pärchen auf den Ampeln sind als eine Art Gruß der Stadt Wien zu verstehen. So sehen es auch Kate und Roger aus Großbritannien, die in Wien ein Austauschsemester absolvieren. „Sie sollten das beibehalten“, sagt Kate, „es ist eine nette Idee.“ Martin Ponsold, um die 30, findet die Idee „super, großartig. Das kann ruhig bleiben“. Ein älteres Touristenpaar aus Deutschland kann mit den Pärchen nicht viel anfangen. „Da werden beide Geschlechter dargestellt, nicht nur der Mann. Keine Ahnung“, sagt sie. Und er sieht „da weder Mann noch Frau“. Die meisten Einheimischen reagieren eher gleichgültig.

Die Idee wurde in der Abteilung für Stadtentwicklung und -planung unter der grünen Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou geboren und von der (roten) Magistratsabteilung 33 für Öffentliche Beleuchtung umgesetzt. Deren Sprecherin Sonja Vicht glaubt auch an einen Zusatznutzen: „Es ist ein Versuch, ob dadurch die Verkehrssicherheit verbessert werden kann.“ Die Aktion solle zeigen, ob die Menschen die neuen roten Ampeln im Kreuzungsbereich weniger ignorierten als zuvor. Für die 160 gegenderten Ampeln wurden Kreuzungen ausgewählt, wo das Haltesignal besonders häufig missachtet wird. Von der Auswertung dürfte es abhängen, ob die gegenderten Ampeln zur Dauereinrichtung werden. Bisher ist geplant, dass sie Ende Juni wieder den Männchen weichen.

63.000 Euro kostet nach offiziellen Angaben die Aktion, die der rechtsnationalen FPÖ missfällt. „Diese Aktion wird es in allen erdenklichen, genderkonformen Variationen geben. Nicht nur Männchen mit Weibchen, Weibchen mit Weibchen, Männchen mit Männchen, sondern auch in allen anderen Facetten des Transgendertums“, höhnt Toni Mahdalik von der Rathausfraktion der FPÖ. Sein Parteikollege Dominik Nepp fürchtet eine Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit: „Besonders bei Kindern kann es leicht vorkommen, dass sie sich von diesen Paaren irritieren lassen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ein Kind deshalb im wahrsten Sinne des Wortes unter die Räder kommt!“

Kinder könnten versucht sein, in die Kanalisation zu steigen. Denn Conchita Wurst ist auch in der Wiener Unterwelt präsent. Ihr Siegersong „Rise like a Phoenix“ erschallt bis zum Finale des Song Contest aus mehreren Kanaldeckeln.

RALF LEONHARD

AUS WIEN