SSC Neapel im Rausch: Himmelblaue Delikatessen
Nach Jahren des Niedergangs macht der SSC Neapel von sich reden. Das Team um den Publikumsliebling Ezequiel Lavezzi spielt den derzeit attraktivsten Fußball der Serie A.
Neapel ist im azurblauen Rausch. Der ist von keiner neuen Droge verursacht, die in irgendeiner von der Camorra betriebenen Destille zusammengepanscht wird, um einerseits Geld zu machen und andererseits den Kunden den Blick auf die Realität zu verstellen. Auslöser ist vielmehr der Fußball. Nach Jahren des Niedergangs ist die Societa Sportiva Calcio Napoli wieder ein Quell der Freude. Die Mannschaft mischt in der Spitzengruppe der Liga mit. Sie hat für 43 Minuten sogar schon einmal den ersten Tabellenplatz eingenommen. Die Truppe in den himmelblauen Trikots bietet mit seinem Offensivtrio Lavezzi, Hamsik und Denis den derzeit attraktivsten Fußball in der Serie A.
Die Zuschauer strömen in die große Betonschüssel des San-Paolo-Stadions (Zuschauerschnitt über 55.000). Und kürzlich hat Diego Maradona in seiner neuen Eigenschaft als Nationaltrainer Argentiniens ausgerechnet Lavezzi und Denis für die Auswahl nominiert. Die Metropole des Büffelmozzarella ist mit dem Land der saftigen Steaks mal wieder durch die Leidenschaft fürs runde Leder fest verknüpft.
Hauptfigur ist ein 23-jähriger Indio namens Ezequiel Lavezzi. "El Pocho", wie man ihn hier nennt, ist klein und gedrungen, ein bisschen wie Diegito. Bei 1,73 Meter Körpergröße bringt er es auf ein Kampfgewicht von 75 bis 77 Kilo. Doch er ist schnell, unglaublich schnell. Mit kurzen, explosiven Sprints entkommt er seinen Gegenspielern. Zu lang darf die Strecke indes nicht sein.
Lavezzi ist kein muskelbepackter 100-Meter-Läufer. Er ist ein Tänzer. Er liebt die Cumbia, eine Symbiose aus afrikanischen und indianischen Elementen, die vor allem von Trommeln und Flöten erzeugt wird. Lavezzi hat mit Cumbia-Popsongs die Spielerkabine des SSC Neapel aufgeheizt. Wenn er auf den Rasen kommt, dann scheint er von dieser Musik zutiefst durchdrungen.
Er tippt den Ball mit links an, dann mit rechts, gibt ihm mit Zehenspitze, Ferse oder Sohle eine andere Richtung, dreht sich um die eigene Achse und schlängelt schließlich sich selbst nebst Ball an Freund und Feind vorbei. Die - und mit ihnen die Zuschauer - müssen annehmen, einen Entfesselungskünstler bei dessen Tätigkeit beobachtet zu haben.
Nur mit dem Toreschießen hapert es bei Lavezzi noch. Doch das erledigen entweder der blonde Landsmann Denis (der jüngst mit einem Hattrick die Reggina abgeschossen hat) oder der Slowake Marek Hamsik. Der ist derzeit der torgefährlichste Mittelfeldspieler der Liga und stellt im Fernduell selbst den Brasilianer Kakà in den Schatten.
Vor zwei Sommern als schmächtiger Teenager für 5,5 Millionen Euro zum damaligen Aufsteiger SSC Neapel gekommen, hat er sich inzwischen in ein Muskelbündel verwandelt. Seine technische Qualitäten hat er behalten. Mit blitzgescheiten Pässen schickt er seine Kollegen in den freien Raum. Dann stößt er selbst energisch nach, wartet, wie Lavezzi sich aus der Spielertraube, die an ihm klebt, befreit, nimmt dessen Vorlage auf und schließt die Aktion dynamisch ab.
Hamsik ist der wertvollere Spieler der beiden, was sich auch am momentanen Marktpreis misst. 30 Millionen Euro hat die Gazzetta dello Sport als gegenwärtige Spekulationskennziffer für Hamsik berechnet, "nur" 20 Millionen für Lavezzi.
Letzterer wird jedoch von den Tifosi mehr verehrt. Einerseits ist er Argentinier, klein, kompakt und fintenreich. Dann weiß er ordentlich zu feiern. Bis zum Morgengrauen macht er zuweilen Diskotheken in der noblen Gegend um die Riviera di Chaia unsicher. Kämpfen kann er auch. Nach jeden Foul steht er gleichmütig auf und wirft sich in den nächsten Zweikampf. Nicht zuletzt hat er ein feines Gespür für die Ikonografie Neapels: Seine Haut ist mit über 20 Tattoos versehen, eines zeigt Jesus, eines Maradona und eines - an der rechten Hüfte - eine Pistole.
Sind Lavezzi, Hamsik und Denis die Protagonisten des neuen Fußballmärchens in Neapel, so heißen die Macher Pierpaolo Marino, Aurelio de Laurentiis und Edy Reja. Sportdirektor Marino hat die Spieler entdeckt, die heute für Furore sorgen. De Laurentiis, im Hauptberuf ein Produzent von Weihnachtsfilmen, hat das Geld dafür bereitgestellt.
Knapp 70 Millionen hat er in den letzten beiden Jahren für Spielerkäufe ausgegeben, für keinen Spieler hat er aber mehr als 8 Millionen berappt. "Über 9 Millionen gehe ich für keinen Spieler der Welt", gibt der Filmmann als Devise aus. Trainer Reja schließlich, ein grauhaariger Kerl, der sich zuvor einen Ruf als Schleifer in mittelklassigen Vereinen erwarb, hat die Talente zu einem mental und physisch starken Kollektiv zusammengeführt.
Bis in den Himmel wachsen die Bäume aber auch nicht für die Azurblauen. Aus dem Uefa-Cup ist Napoli gleich in der ersten Runde herausgeflogen. Doch für die Mannschaft spricht, dass sie diesen Rückschlag weggesteckt hat und nun Sonntag für Sonntag für wahre Fußball-Delikatessen sorgt.
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