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Archiv-Artikel

SPIELPLÄTZE (8) Rasensport und Kapuzinerkresse

FUSSBALLGUCKEN Australien gegen Ghana im Prinzessinnengarten

Spielplatztest

Ort: Prinzessinnengarten, Moritzplatz, Kreuzberg. Alle Spiele.

Sicht: Keine Leinwand, bis zu drei Fernseher. Bei Tageslicht schwierig. Dafür reichlich Platzwahl.

Kompetenz: In Sachen Salate reichlich vorhanden. In Sachen Fußball ist der Bericht erstattende Journalist hier allein auf weiter Flur.

Nationalismus: Fehl am Platze. Obwohl, wie überall, der Besuch bei Deutschlandspielen am größten ist.

Wurst: Es gibt Thüringer für 2,50 Euro. Konnte mangels anderer Nachfrage leider nicht ausgetestet werden. Das Ratatouille unterlag mit 5 Euro wohl dem Solidaritätsgedanken.

Eigentlich muss man ja nirgendwo mehr hin. Spielt nicht eben die deutsche Elf, kann man sich bequem von Bildschirm zu Bildschirm treiben lassen, kann beim Einkaufen, beim Flanieren, beim Briefmarken kaufen, beim Essen und Naschen, einfach überall Fußball gucken dieser Tage. Man kann eine gesamte Halbzeit lang von der Oberbaumbrücke bis zum Oranienplatz laufen, ohne auch nur eine Minute zu verpassen: Irgendwo steht immer der nächste Bildschirm, von irgendwoher kommt immer die Stimme des Fernsehreporters, von oben, von unten, von hinten oder von vorn.

Schade nur, dass das Wetter nicht mehr so mitspielen möchte. Am Samstagnachmittag habe ich mich im Auftrag der Redaktion für den Prinzessinnengarten entschieden, und der liegt im grünen Nichts am Moritzplatz. In einer Brache mitten im Problemkiez, nämlich dem statistisch ärmsten Quartier dieser Stadt, hinter der postindustriellen Autohausgegend zwischen Oranien- und Prinzessinnenstraße. Hier hat sich die grüne Guerilla einen Freiraum geschaffen, ordentlich und legal, denn das Grundstück, auf dem sich jetzt eine Art begehbares Treibhaus ohne Dach und Wände mit angeschlossenem Café befindet, gehört der öffentlichen Hand und wurde gepachtet.

Also kann man hier Gesundes und Gutes aufs Trefflichste verbinden. Man kann sich Salatköpfe in Kästen ansehen, man kann Namenia, zu Deutsch Rübstiel oder Stängelmus, Koriander, Mangold, Borretsch (Gurkenkraut) oder Kapuzinerkresse kaufen, aber auch Wurst essen, Bier trinken (selbstverständlich Biobier Kreuzberger Braukunst) und den gerade besonders modischen Rasensport mit Fußkontakt schauen. Grüner wird es nicht.

Der Verkaufsgarten läuft jedenfalls recht gut, auch wenn er vom Café mitgetragen werden muss. Den Garten gibt es schon seit letztem Jahr, das Café erst seit diesem Sommer. Die Zukunft ist ungewiss – der Vertrag läuft wohl bis zum Sommerende, das Grundstück steht zum Verkauf. Gegenüber wird ein Gebäude abgerissen, bald wird neu gebaut. Der Moritzplatz, im Dornröschenschlaf seit Kriegsende, könnte zu neuem Leben erwachen.

Bis dahin wird eifrig zwischengenutzt, und zwar mit grünem Daumen. Menschen schlurfen durch den Garten und schauen sich das Grünzeug an, ich bin lange der einzige in der Stuhlreihe vor den beiden, leider auch verspiegelten Fernsehgeräten. Das Spiel ist ganz okay, Australien in den grünen Hosen geht früh in Führung, irgendwann bekomme ich Gesellschaft von zwei Kindern, die auch das Spiel gucken möchten und dabei tatsächlich recht still sind. Dann übernimmt der Schiedsrichter das Geschehen, es gibt Rot und Handelfmeter, Ghana gleicht aus. Eine Prinzessin lässt sich in diesem Garten noch nicht blicken.

Die angemessen entschleunigt wirkende Bedienung bringt Brot

Zur zweiten Hälfte wird es belebter. Die angemessen entschleunigt wirkende Bedienung bringt Brot, SalatkäuferInnen setzen sich in die Reihen, dazu vier türkische Jungs aus der Nachbarschaft. Das Konzept könnte, bei besserem Wetter und weniger Sonneneinstrahlung auf die Bildschirme, tatsächlich funktionieren. Denn gutes, recht naturbelassenes Grün in der Stadt, besonders hier im Kiez, ist selten.

Das Spiel endete übrigens unentschieden, 1:1. RENÉ HAMANN