SPIELPLÄTZE (4) : Wo Südamerikaner und Italiener Brüder und Schwestern sind
FUSSBALLGUCKEN Italien gegen Paraguay im La Bottega del Gelato am Kottbusser Tor
■ Ort: La Bottega del Gelato, Adalbertstr. 96 – am Kottbusser Tor, voraussichtlich alle Spiele, zumindest aber die wichtigen (welche immer das sind).
■ Sicht: Super. Es gibt nur etwa ein Dutzend Tische, dafür aber eine große Leinwand. Wegen der verhängten Fenster kann man auch tagsüber genug sehen.
■ Kompetenz: Die fußballerische Kompetenz ist schwer einzuschätzen. Auf jeden Fall ist aber eine hohe kulturelle Kompetenz vorhanden.
■ Nationalismus: Gar nicht. Es sind verschiedene Nationen vertreten, die Stimmung ist entspannt, Spielsituationen werden fair bewertet.
■ Wurst: Die Kugel Eis gibt’s für 90 Cent, Tiramisu für 2,50 Euro, Kaffee kostet 1,50, Flasche Bier 2. KRU
Meine Erwartungen sind hoch, als ich mich am Montagabend auf den Weg zum La Bottega del Gelato in der Ladenpassage des Neuen Kreuzberger Zentrums mache. Der italienische Name des Cafés bedeutet „Eisdiele“, die Inhaber hingegen sind Südamerikaner: Gibt es einen besseren Ort, um sich das Spiel Italien gegen Paraguay anzuschauen?
Ja, gibt es, denke ich, als ich kurz vor Spielstart auf der Schwelle stehe. Drinnen ist es leer. Ein Dutzend Tische stehen einsam vor einer großen Leinwand. Es ist schummrig, die Fenster sind durch schwarze Tücher abgehängt.
Als ich mich grade damit abgefunden habe, mich für die blödeste Public-Viewing-Location entschieden zu haben, setzt sich jemand neben mich. „Sie sollten am Donnerstag kommen. Da wird es voll. Argentinien spielt, da kommen meine Freunde und Familie hierher!“ Das Lächeln der Frau neben mir gibt mir das Gefühl, willkommen zu sein. „Ich bin Argentinierin“, fügt sie hinzu. Während nun doch einige Leute hereinkommen, stellt sie sich vor. Maria Albertina, erfahre ich, kam vor 25 Jahren nach Deutschland und führt zusammen mit einem Ecuadorianer seit sechs Jahren die Eisdiele. Sie kann nicht sagen, für welche Mannschaft sie ist. „Argentinier und Paraguayer stammen von Italienern und Spaniern ab.“ Und mit Blick auf die Leinwand fügt sie hinzu: „Es sind doch alles Brüder und Schwestern.“
Eigentlich bin ich ganz froh, nicht im verregneten Kapstadt zu sein, sondern gemütlich in einer multikulti Eisdiele in Kreuzberg zu sitzen. Mittlerweile sind wir zu elft – elf Freunde, hat man das Gefühl. Auch wenn ich nicht alles verstehe, weil ich kein Spanisch kann. Es gibt Applaus, als das Tor für Paraguay fällt, und ein paar Umarmungen.
In der Halbzeitpause schaue ich mich genauer um. Genauso gemischt wie die Nationen ist auch die Einrichtung des Cafés. Zwei alte, bunte Wohnzimmerlampen spenden warmes Licht. Das Filmposter von „La dolce Vita“ und ein Bild von Marilyn Monroe erinnern an den Filmglamour vergangener Tage. Im vorderen Bereich gibt eine Glasvitrine mit Bio-Eis und eine mit Kuchen, auf der eine Vase mit frischen gelben Nelken steht.
Das Spiel wird wieder angepfiffen. Bis zum Tor Paraguays waren die Gespräche mit Maria streckenweise spannender als das Spiel, aber nun scheint Italien doch noch aufgewacht zu sein. „Auf wen ich auch tippe, die anderen gewinnen immer“, sagt ein junger Mann neben mir. In diesem Moment schießt Italien das 1:1. Vorführeffekt.
Und dann ist es vorbei. Ob ich Donnerstag wiederkomme, fragt mich Maria. Da gebe es zum Spiel die argentinische Berichterstattung via Internet. Leider muss ich arbeiten. Und außerdem kann ich kein Spanisch. Auch wenn das hier das geringste Problem ist. KRISTIN RUCKSCHNAT