SPD nach Beck-Sturz: Eine Art Kollateralschaden
In der SPD ist Putschismus zum Normalfall geworden. Beck wollte sich eine Zukunft als schwacher Vorsitzender ersparen.
Auch am Tag nach dem Knall am Schwielowsee fragt sich die SPD leicht benommen: Was ist eigentlich passiert? Gab es einen gezielten Putsch gegen Kurt Beck? Wer war der Autor des Putsches? Oder war es ein Unfall, eine unbeabsichtigte Verkettung von Ereignissen? Oder etwas dazwischen?
Über das Geschehene kursieren mehrere Versionen. Manche meinen, Frank-Walter Steinmeier hätte sich unbedingt als tatkräftiger Kanzlerkandidat profilieren wollen. Selbst in ihm gewogenen Medien musste er dauernd lesen, dass es ihm an Machtinstinkt mangele. Steinmeier war lange der Mann im Halbschatten der Macht. Das Amt des Außenministers und Vizekanzlers hat er nicht erobert - es war ihm zugeflogen. Deshalb wollte Steinmeier jetzt wohl beweisen, dass er auch zielstrebig nehmen kann, was er will. Dies kollidierte wiederum mit Becks Willen, wenigstens im Verzicht auf die Kanzlerkandidatur souverän zu wirken. Beck wollte Steinmeier die Kandidatur antragen - Steinmeier hingegen hatte vor, sich endlich als beherzt zupackender Politiker zu inszenieren, der dem zögernden Beck den Zeitpunkt der Kandidatur diktiert. Becks Rückzug war demnach nicht geplant, aber von Steinmeier früher oder später als Möglichkeit eingeplant. Dass Becks Abgang ausgerechnet Steinmeiers Krönungsmesse verhagelte, war eine Art Kollateralschaden.
So kann es gewesen sein. Sicher ist: Die Kür von Steinmeier zum Kanzlerkandidaten war von einer atemberaubenden Indiskretion begleitet. Im Spiegel ist zu lesen, dass nur Beck und Steinmeier von der geplanten Verkündung der Kanzlerkandiatur am Sonntag gewusst hätten. Auch die engste SPD-Spitze wäre nicht eingeweiht gewesen. Fraktionschef Peter Struck, so der Spiegel, habe erst am Samstag davon erfahren.
Am Samstag war der Spiegel schon gedruckt. In der SPD-Spitze ist es schon seit langem Usus, sich zu bekriegen, indem man Vertrauliches per Leitmedium verbreitet. Aber dass ein Magazin vor dem SPD-Fraktionschef weiß, wer wann zum SPD-Kanzlerkandidat gemacht wird - das ist selbst für die SPD neu.
Manche in der SPD vermuten, dass der Angriff via Spiegel nicht von Steinmeier, sondern von Münteferings Büro lanciert wurde. Dafür spricht, dass Steinmeier das Verlässliche zu sehr schätzt, um derartig grob gegen alle Regeln eines fairen Umgangsstils zu verstoßen. Das rüde Foul und der hinterhältige Vertrauensbruch passen jedenfalls schlecht zum Bild des stets vernünftigen, auf Ausgleich bedachten (Außen-)Politikers Steinmeier.
Doch dass die gegen Beck gerichteten Indiskretionen im Spiegel wirklich der Grund für dessen Rückzug waren, ist unwahrscheinlich - auch wenn Beck dies in seiner persönlichen Erklärung nahelegt. Entscheidend war wohl, dass Beck Samstagnacht begriff, welche Rolle er fortan in der Steinmeier-SPD spielen sollte: die der Nummer drei hinter Steinmeier und Müntefering, der den Wahlkampf der SPD 2009 managen soll. Der Streit um die Art und Weise, wie der Kanzlerkandidat inthronisiert wird, der Zorn auf Steinmeier und Müntefering, aus deren Umkreis die Spiegel-Informationen stammen, waren nur der Anlass. Im Kern ging es darum, dass Beck sich eine Zukunft als Vorsitzender auf Abruf ersparen wollte.
Bis zuletzt hat er versucht, einen souveränen Abgang hinzulegen. Im Landhaus Ferch wollte er am Sonntagmittag in kleiner Runde gegen Steinmeier durchsetzen, dass Arbeitsminister Olaf Scholz sein Nachfolger als SPD-Chef wird. Doch Steinmeier zeigte "klare Kante". Um kurz vor eins fragte Steinmeier Müntefering, ob er SPD-Chef werden will, zehn Minuten später sagte Müntefering zu. Ausgerechnet Müntefering, mit dem Beck eine innige und lange Feindschaft verbindet. Kurz darauf verkündete Beck dem sprachlosen SPD-Spitzenpersonal knapp und finster gestimmt seinen Rücktritt.
Die Parteigremien traf das völlig unvorbereitet. Ein Landeschef der SPD zuckte am Sonntagnachmittag resigniert mit den Schultern. Die SPD-Spitzenpolitiker standen vor vollendeten Tatsachen, die sie nur noch abnicken konnten. Wie so oft in der jüngsten Geschichte der Sozialdemokraten.
In der SPD ist der handstreichartige Coup, der Putsch von oben, die überfallartige Attacke und der abrupte Rücktritt die gängige Art geworden, um zentrale Entscheidungen zu fällen. Das war 2003 so, als Kanzler Schröder ohne Absprache von oben der konsternierten Partei die Agenda 2010 verordnete. Das war im Mai 2005 so, als Schröder der ahnungslosen und verblüfften Partei verkündete, dass es Neuwahlen gibt. In diese Reihe passt auch die Art, wie Müntefering Ende 2005 die Partei mit seinem Rücktritt als SPD-Chef überraschte. In der SPD ist die gezielte Indiskretion zum Kommunikationsinstrument geworden, der Putschismus zum Normalfall.
In der SPD hagelte es gestern Appelle, nun endlich einig aufzutreten. Von der Juso-Chefin Franziska Drohsel bis zu Wolfgang Clement, der für seine eiserne Treue zur SPD berühmt ist, forderten gestern alle die SPD zur Geschlossenheit auf. SPD-Vize Andrea Nahles, die 2005 der Anlass für Münteferings Rückzug als Parteichef war und nun seine Stellvertreterin sein darf, forderte sogar eine "neue Kultur der Geschlossenheit". Es klang wie ein Akt der Autosuggestion einer Partei, die sich selbst nicht traut.
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