: SPD jetzt auf Bildungsminister Meyer sauer
■ DDR-Sozialdemokraten betrachten Bildungsminister Meyer als Gefährdung der Koalition / Persönliche Verleumdung vorgeworfen / Schulordnung soll präjudizierend wirken
Von Axel Kintzinger
Berlin (taz) - DDR-Bildungsminister Hans-Joachim Meyer, bislang eher unangefochten und unauffällig arbeitend, ist unter schweren Beschuß von Koalitionspartner SPD geraten. Anlaß einer geharnischten, dreiseitigen Kritik des DDR -Vorstandes an dem parteilosen Meyer ist ein Artikel des Ministers in der DDR-Lehrerzeitung. Darin wirft Meyer dem Vorsitzenden des Volkskammerauschusses für Bildung, Konrad Elmer (SPD), ein demokratisches Sündenregister und eine Bildungspolitik vor, die hinter das Wirken der berüchtigten SED-Bildungsministerin Margot Honecker zurückfalle.
Einer der Kernpunkte des Streites ist eine Auseinandersetzung, die in der BRD bereits seit beinahe zwei Jahrzehnten anhält: die um Einführung und Form von Gesamtschulen. Diese Schulform, darauf pocht die SPD, sei in der Koalitionsvereinbarung festgeschrieben. Meyer aber orientiere sich allein auf sogenannte Leistungsklassen: Diese „frühe Selektion von Kindern bereits nach der zweiten Klasse in der Grundschule führt noch hinter die Beschlüsse der Reichsschulkonferenz von 1920 zurück“, schäumt der SPD -Vorstand in seiner am Montag herausgegebenen Entschließung.
Zudem wirft die SPD Meyer vor, mit einer vorläufigen Schulordnung das zukünftige Bildungswesen der DDR zu präjudizieren. Kultur- und Bildungshoheit aber genießen auch im neuen Deutschland allein die noch zu gründenden fünf Bundesländer auf dem Boden der heutigen DDR. Eine Vereinheitlichung des DDR-Bildungswesens, wie von Meyer mehrfach angekündigt, stehe ihm nicht zu. In einer Entgegnung auf die SPD-Kritik verweist Meyer jedoch auf seine häufig geäußerte Meinung, nur ein Übergangsminister zu sein und die Bildungshoheit der Länder im Vorab nicht beeinträchtigen zu wollen.
Die SPD, die Meyer auch wegen des angeblichen Fehlens von Mitenscheidungsrechten in den Schulen an den Karren fährt, ist vor allem wegen der Informationspolitik des Ministers sauer. Man werde „nicht weiter hinnehmen, bei der Meinungsbildung über seine Politik weitgehend“ ausgegrenzt zu werden. Der Koalitionspartner SPD habe erst aus der Lehrerzeitung erfahren, „welche neuen Rechtsverordnungen der Bildungsminister beschlossen hat“.
Sauer aufgestoßen ist den DDR-Sozialdemokraten auch „die Umbenennung von Jugendpionierleiter/innen in Freizeitpädagogen“ - das werde zum „politischen Problem“. Außerdem vermisse man konsequentes Handeln Meyers bei der Überprüfung von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern im Schuldienst. Der Angegriffene kann diesen Vorwurf nicht verstehen. „Geradezu absurd“ sei der Vorwurf in Sachen Jugendpionierleiter. Die Einstellung von Freizeitpädagogen unterliege allein den kommunalen Schulbehörden. Bildungsminister Meyer schießt scharf zurück und wirft der SPD Doppelmoral vor: „Die gleichen Leute, die jede Regelung des Ministeriums als zentralistisch zu diskreditieren versuchen, rufen hier offenbar nach rechtsstaatswidrigen dirigistischen Eingriffen. Und: Die Zusammenarbeit bei Maßnahmen zur Überprüfung von früheren Stasi-Leuten sei wiederholt von der SPD beeinträchtigt worden.
Der Konflikt wird weitergehen, doch das Ende ist ungewiß. Obwohl Minister Meyer in den Augen der SPD „eine ernste Gefahr für den Bestand der Koalition“ darstellt, fordern die Sozialdemokraten in ihrer Entschließung nicht den Rücktritt des Bildungsministers. Noch nicht.
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