: SPD dressiert die grünen Hüpfer
Klaus Wowereit will vor allem bequem regieren. Die neue Koalition müsse „verlässlich“ sein, wiederholen wichtige SPDler gebetsmühlenartig. Inhalte zählen nur wenig. Und die angeblich so rebellischen Grünen verwandeln sich flugs in Duckmäuser
von ULRICH SCHULTE
Es ist immer dasselbe nach diesen Sondierungsgesprächen: Im Treppenhaus des Roten Rathauses drängeln sich Journalisten vor einer schweren Tür. Die Tür geht auf, die Politiker kommen raus, tragen mit starren Gesichtern Floskeln vor, dann klappt die Tür wieder zu. Und bei dem Spielchen fehlen zwei Sätze nie. Der Das-Gespräch-fand-in-einer-konstruktiven-Atmosphäre-statt-Satz und der Verlässlichkeitssatz.
Die SPD will „stabil durchregieren“, ein Bündnis müsse bei den knappen Mehrheiten „diszipliniert sein“, eben „verlässlich“ – SPD-Spitzenleute wiederholen diese Formel gerade so oft, dass sie sie wahrscheinlich noch auf dem Klo murmeln. Der SPD ist es, nimmt man sie beim Wort, egal, welche Ideen ihr Partner mitbringt. Entscheidend ist, wie viel SPD er ohne aufzumucken mitmacht. Das stärkste Argument für das Bündnis, das fünf Jahre die Geschicke der Stadt lenken wird, ist also Disziplin. Wie traurig. Und wie verhängnisvoll.
Dass Bequemlichkeit für ihn das wichtigste Kriterium ist, hat Klaus Wowereit bei Sabine Christiansen in seiner schnoddrigen Art zusammengefasst. Sicher bekomme der kleinere Part in einer Koalition ab und zu in einem Punkt Recht, so Wowereit. „Aber ansonsten lässt er die große Partei in Ruhe regieren.“ Es sagt einiges über die Debattenfähigkeit des Regierungschefs, wenn er den kleinen Partner vorab zum Kriecher abqualifiziert. Dass scharfe Diskussionen meist neue Ideen hervorbringen, kommt in seiner Weltsicht nicht vor.
Woher die SPD die Legitimation für ihr selbstherrliches Auftreten nimmt, weiß nur sie selbst. Vom Wähler sicher nicht. Nur 58 Prozent der Wahlberechtigten wählten überhaupt, davon nur ein Drittel die Sozialdemokraten. Die SPD stützt sich also auf knapp 18 Prozent der Wahlberechtigten. Und das Ergebnis transportiert noch eine weitere bedrohliche Erkenntnis: Zu viele glauben den etablierten Parteien nicht mehr. Es wäre wichtig, diesem Prozess die Kraft des Arguments entgegenzusetzen.
Die SPD tut in diesen Tagen das Gegenteil. Sie dreht den Satz „form follows function“ um. Wowereit presst erst den Partner in die Form, der Inhalt interessiert nur am Rande. Denn den gibt später sowieso die SPD vor. Seit dem Wahlsonntag verfolgt die Volkspartei vor allem ein Ziel: den künftigen Partner weichzuklopfen. Der Meister des Machtpokers ist Wowereit selbst. Bereits am Freitag werde sich die SPD entscheiden, mit wem sie das Bündnis verhandeln wolle, kündigte er an.
Das ist ein Affront gegen die PDS, mit der die SPD angeblich ernsthaft verhandelt. Sie ist nach der Wahlschlappe zerrissen wie nie, bräuchte Zeit zur Selbstbespiegelung, die Führung will auf einem Sonderparteitag die Basis befragen. Durch Wowereits Vorgabe hat sie dafür ein paar lächerliche Tage Zeit. Man kann daraus eine Vorentscheidung für Rot-Grün lesen. Und Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann, der stets die innerparteiliche Diskussionskultur hochhält, haut flugs in die gleiche Kerbe: Die Grünen könnten ohne jeden Zeitverzug Koalitionsverhandlungen starten, ließ er wissen. Die PDS nicht. Jeder Vorteil zählt.
Ratzmanns Partei macht in diesen Tagen eine wunderbare Wandlung durch. Im Parlament gerieren sich die Grünen als Rebellen, als Kämpfer für Minderheiten, die „denen da oben“ die Leviten lesen. Kaum können sie selbst nach oben, ist Duckmäusertum die höchste Tugend.
Die Spitzenkandidatin betont beim Sondieren, wie superdiszipliniert ihre Partei sei. Ein Neu-Parlamentarier, der es wagt, Forderungen zu stellen, wird am nächsten Tag von Obergrünen telefonisch zur Sau gemacht. Die Frage, wie viele Verhandler mit Wowereit am Tisch sitzen dürfen, wird zum Politikum – erst drängeln sich fünf, wegen der Doppelspitze, dann gehen nur drei, weil die SPD das will. Hartnäckig setzt sich der Eindruck fest: Der grüne Dackel trippelt so beflissen hinter Wowereit her, dass ihn seine eigenen Hinterbeinchen überholen.
Und die Inhalte? Bildung war das grüne Herzensanliegen im Wahlkampf. Am Wochenende haben die Parteiexperten eine Idee – mit der sie zuvor liebäugelten – in vorauseilendem Gehorsam beerdigt. Klaus Wowereit mag die Gemeinschaftsschule eben nicht. Reiner Zufall, dass am folgenden Tag weitersondiert wurde, klar. Inhalte? Der einzige handfeste Vorschlag, der der grünen Spitzenkandidatin auf einer ganzen taz-Seite einfällt, ist, in Brandenburg Gemüse unter Glas anzubauen. Wie schön. Die Frau, die Stadtentwicklungssenatorin werden möchte, macht sich also für Gurken stark. Natürlich will sie mehr. Aber vor den Verhandlungen mit der SPD bleibt sie lieber kantenlos wie eine Tomate.
All dem kann man entgegnen, dass so Realpolitik funktioniert. Das stimmt wohl, leider. Schafft es die SPD aber, ihren Partner in der Regierung so an die Wand zu drücken, wie es die Verhandlungen fürchten lassen, wäre das fatal für die Stadt. Berlin hat mehr verdient als nur Klaus Wowereit.