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Archiv-Artikel

SPD UND PDS: DIE PROGRAMMDISKUSSIONEN SIND ARMUTSBEWEISE Der Pragmatismus wird aufgehübscht

Dass sich sowohl SPD als auch PDS ausgerechnet am gleichen Tag mit neuen Grundsatzprogrammen beschäftigen, bedeutet keine neue Wiedervereinigung der beiden alten Arbeiterparteien. Es ist nicht mehr als eine kleine Rache der kurzatmigen Tagespolitik: Sozialdemokraten und Sozialisten mussten sich gestern zeitgleich mit der Zukunft von Sozialismus und Gerechtigkeit herumschlagen. Die Erinnerung daran, dass SPD und KPD sich schon immer inbrünstiger als andere Parteien mit Sinnfragen beschäftigt haben, wird zu keiner Annäherung von SPD und PDS führen.

Es steht auch nicht zu befürchten, dass in der nächsten Woche plötzlich geklärt wird, wie es um den Sozialismus im 21. Jahrhundert bestellt ist. SPD und PDS haben lediglich demonstriert, wie unfähig Parteien in einer Mediendemokratie geworden sind, eine programmatische Debatte unaufgeregt und fundiert zu führen. Grundsatzdiskussionen dienen nur noch der farblichen Aufhübschung des regierenden Pragmatismus oder der innerparteilichen Auseinandersetzung.

Der PDS-Vorstand hat gestern den dritten Programmentwurf in nur zwei Jahren verabschiedet. 13 Jahre nach „Gründung“ der PDS wollen die Genossen jetzt endlich das festschreiben, was im Herbst 1989 schon einmal Konsens war: Der Sozialismus soll mit dem bürgerlich-liberalen Erbe von Demokratie und Freiheit verbunden werden. Doch das Bekenntnis der PDS zu den Grundwerten der Verfassung, zur Gewaltenteilung und zum Gewaltmonopol der Vereinten Nationen kommt mindestens fünf Jahre zu spät. Außerdem trottet die Partei damit der Debatte über einen modernes linkes Verständnis von Gerechtigkeit und internationaler Sicherheit meilenweit hinterher. Parteichef Lothar Bisky weiß das, und so benutzt er das Programm vor allem als Instrument im Kampf gegen die Orthodoxen. Dabei nimmt Bisky ausdrücklich Mitgliederaustritte in Kauf.

Seine Logik ist machtpolitisch: Verabschiedet die PDS im Oktober das neue Grundsatzprogramm, ist das weniger als eine Selbstverständlichkeit. Es wäre nur die allererste Luftzufuhr bei dem Versuch, die sterbende Partei doch noch mal ins Leben zurückzuholen. Scheitert Bisky mit dem Programm, ist er erledigt – und die PDS mit ihm.

Wo die Genossen Sozialisten sich mit zu viel hohler Theorie quälen, da leiden die Genossen Sozialdemokraten an zu viel Pragmatismus. Also hat ihnen Generalsekretär Olaf Scholz eine Programmdebatte über die Zukunft des demokratischen Sozialismus aufgezwungen, um die SPD endlich von ihrer Dauerkrankheit zu befreien: dem zum Widerspruch aufgebauten Gegensatz von radikaler Programmrhetorik und perspektivloser Tagespolitik. Die verunsicherte Basis heult auf, weil bei ihr nur ankommt, dass ihr General nicht mehr „Sozialismus“ sagen will. Plötzlich sehen sie sich eines ihrer wichtigsten Glaubensbekenntnisse beraubt. Teile der nicht weniger verunsicherten Führung versuchen die Debatte mit dem Hinweis abzuwürgen, sie komme zur Unzeit. Für sie ist die Programmdiskussion nur eine Frage des richtigen Timings zur Absicherung der Agenda 2010. Diese Haltung drückt die intellektuelle Armut der SPD aus, die unter ihrem Vorsitzenden Gerhard Schröder rasant fortgeschritten ist. Es ist bezeichnend, dass Fraktionschef Franz Müntefering ausgerechnet jetzt verkündet hat, Schröder werde 2006 noch mal als Kanzlerkandidat antreten. Schröder ist also das einzige und wahre SPD-Programm. Schröder oder Sozialismus! Helmut Kohl wird es mit Freude hören. JENS KÖNIG