SPD-Spitze ist sauer: "Faule Kompromisse"
Koalition zerstreitet sich über den Mindestlohn für Briefträger. Bei längerer Auszahlungen von Arbeitslosengeld I konnte man sich einigen
BERLIN taz Peer Steinbrück ist ein Freund des klaren Wortes. "Gegen zwei Uhr waren wir nicht mehr bereit, uns auf faule Kompromisse einzulassen", berichtete der Finanzminister am Dienstagmorgen über den Koalitionsausschuss in der Nacht zuvor. Als Vizechef der SPD fügte er hinzu: "Die Partei steht unter dem Eindruck, dass Verabredungen mit der Union nichts gelten." Das Scheitern der Verhandlungen über die Einführung des Mindestlohnes war Steinbrücks wichtigste Botschaft - über positive Ergebnisse referierte er erst danach.
Auch Vizekanzler Franz Müntefering, Parteivorsitzender Kurt Beck und Fraktionschef Peter Struck machten ihrem Ärger Luft. Das Spitzenpersonal der SPD, so lautete der Tenor, fühlt sich von Bundeskanzlerin Angela Merkel verschaukelt.
Einerseits kommt es der SPD nicht ungelegen, sich auf diese Art als Vorkämpferin für ein soziales Anliegen zurückmelden zu können, andererseits sind Steinbrück & Co. tatsächlich entnervt. Denn das Bundeskabinett hat den Mindestlohn für Briefträger bereits beschlossen, Unternehmen und Gewerkschaften haben daraufhin einen Tarifvertrag ausgehandelt, und morgen Vormittag steht der entsprechende Gesetzentwurf auf der Tagesordnung des Bundestages. Doch der Union fielen immer neue Gegenargumente ein - "Ausflüchte", sagte Steinbrück. Diesen Vorwurf wies Norbert Röttgen zurück: "Die SPD hat sich verrannt", so der parlamentarische Geschäftsführer der Union im Bundestag.
Hinter dem Dissens beim Mindestlohn verblasste am Dienstag die Einigung beim Arbeitslosengeld I, obwohl der erzielte Kompromiss sich vor allem als Pluspunkt für die SPD auswirken dürfte. Parteichef Kurt Beck hatte die Forderung nach dem höheren Arbeitslosengeld I für ältere Erwerbslose in den vergangenen Monaten immer wieder erhoben und diese soziale Milderung der Hartz-Gesetze auch gegen Vizekanzler Franz Müntefering durchgesetzt. Vorübergehend bessere Umfragewerte für die SPD gaben Beck Recht: Die Gerechtigkeit als Kernbotschaft der SPD wurde öffentlich wieder stärker wahrgenommen.
Beschlossen hat der Koalitionsausschuss, dass ältere Erwerbslose künftig länger Arbeitslosengeld erhalten als bisher. Über 50-Jährige sollen einen Anspruch haben auf 15 statt 12 Monate. Personen ab 55 Jahre können die Zahlung 18 Monate in Anspruch nehmen, ab 58 Jahre sind es 24 Monate. 270 Millionen Euro jährlich zur Finanzierung der höheren Kosten sollen aus dem Bundeshaushalt fließen, rund 500 Millionen Euro muss die Bundesagentur für Arbeit aus ihrem Topf für die Wiedereingliederung von Arbeitslosen dazugeben.
Gleichzeitig will die große Koalition den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung von heute 4,2 Prozent auf 3,3 Prozent senken. Bislang hatte die Union vorgeschlagen, auf 3,5 Prozent herunterzugehen. Von der Senkung des Sozialbeitrages profitieren die Beschäftigten und die Unternehmen je zur Hälfte.
Außerdem haben Union und SPD den Finanzrahmen abgesteckt, um Erwerbstätigen mit niedrigem Lohn künftig einen staatlichen Zuschuss zahlen zu können. Dafür sollen 1,1 Milliarden Euro jährlich zur Verfügung stehen. 250 Millionen Euro steuert der Bund bei, den größten Teil übernimmt die Bundesagentur aus ihren Überschüssen. Dieser Zuschuss ist vor allem ein Anliegen der SPD. Müntefering will damit verhindern, dass Niedriglohn-Beschäftigte einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II erhalten und das komplizierte Antragsverfahren durchlaufen müssen. Der neue Zuschuss ist eine Art Kombilohn. Außerdem hat sich die Koalition geeinigt, die Hinzuverdienstmöglichkeiten für Erwerbslose zu verbessern.
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