SPD-Sozialpolitiker Rudolf Dreßler: "Es muss einen Neuanfang geben"

Nach der Wahlpleite der SPD fordert der ehemalige Sozialexperte der Partei, Rudolf Dreßler, die Re-Sozialdemokratisierung seiner Partei.

Nur noch ein Schatten seiner selbst? Franz Müntefering vor SPD-Logo. Bild: dpa

taz: Herr Dreßler, bedeutet das Wahlergebnis von 23 Prozent das Ende der Volkspartei SPD?

Rudolf Dreßler: Das kann man sagen. Aber Vorsicht: Wenn die Parteispitze glaubt, dass nun das Ende der Fahnenstange erreicht ist, dann irrt sie. Sonst wird aus der SPD ganz schnell Westerwelles "Projekt 18" - allerdings in umgekehrter Richtung.

Jahrgang 1940, war einer der Sozialexperten der SPD und lange Jahre Mitglied im Bundestag sowie im SPD-Präsidium. Von 2000 bis 2005 war er deutscher Botschafter in Israel.

Wie konnte es zu diesem Desaster kommen?

Die SPD hat sich diese Katastrophe in jeder Beziehung selbst anzulasten. Es gibt keine externen Einflüsse. Die SPD ist nicht an der CDU, nicht an der FDP und auch nicht an Angela Merkel gescheitert. Nichts wurde analysiert. Keiner hat sich Gedanken über Fehler der Vergangenheit gemacht.

Muss man die eigene Reformagenda 2010 endgültig begraben?

Die Agenda war eine neoliberale Gesetzgebung, die völlig an der Identität der SPD vorbeiging. FDP und Union haben Beifall geklatscht, und in der SPD hat sich keiner darüber gewundert. Seit 1998 hat die SPD 400.000 Mitglieder verloren, 6 Ministerpräsidenten, tausende von Mandate und 11 Millionen Wähler. Diese Verluste liegen zum großen Teil an der Agenda 2010.

Warum verschließt sich die SPD der einzigen realen Machtoption: einem Bündnis mit der Linkspartei?

Das ist ja fast eine Glaubensfrage in der SPD. Ohne Not wird gesagt: Wir reden nicht mit der Linkspartei - die existiert nicht für uns. Damit hat sich die SPD in die Fänge der Union geworfen. Ein kapitaler Fehler! Wie man auf die Idee kommen kann, die FDP als natürlichen Koalitionspartner zu sehen und die Linke nicht, ist völlig unverständlich. Als ob die FDP eher ihre wirtschaftspolitische Position ändern würde als die Linke ihre außenpolitische. Das kann ich polit-strategisch gar nicht mehr kommentieren. Ich müsste beleidigend werden.

Hat man in der SPD ein Problem, sich mit der neuen Mittelmäßigkeit abzufinden?

Ja, vollkommen. Jeder, der analysiert, müsste Fehler eingestehen. Diesmal wird sich die Debatte nicht aufhalten lassen. Die Leute haben die Schnauze restlos voll.

Fehlt es bei der SPD an Zukunftsideen?

Vielleicht. Eins ist klar: Die SPD muss re-sozialdemokratisiert werden. Und das können nicht die Leute machen, die die Identität der SPD auf dem Gewissen haben. Es muss auch einen personellen Neuanfang geben.

Das ist eine direkte Kritik an Steinmeier.

Wie will man denn mit 23 Prozent der Stimmen den Anspruch erheben, ein starker Oppositionsführer zu werden? Das ist mir völlig unklar.

Warum gab es keinen Widerstand dagegen?

Die Parteispitze wollte die Debatte von vornherein abwürgen. Aber das ist nicht das Ende der Diskussion. Denn Steinmeier ist der Vater der Agenda 2010. Der Vater des Eklats der SPD. Einer wie er kann weder die SPD mit ihrer Identität versöhnen noch kraftvoll aus der Krise herausführen.

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