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SPD-Politikerin Bärbel BasDie Frau für die Schlüsselstelle

Die SPD will Bärbel Bas zur Bundestagspräsidentin machen. Rolf Mützenich bleibt SPD-Fraktionschef – und Steinmeier vielleicht Bundespräsident.

SPD-Bundestagsabgeordnete Bärbel Bas Foto: Christoph Reichwein/imago

Die SPD hat eine naheliegende Entscheidung getroffen. Bärbel Bas wird Nachfolgerin von Wolfgang Schäuble. Die 53-jährige Duisburgerin ist seit 12 Jahren im Bundestag und kennt dessen inneres Machtgetriebe. Sie war parlamentarische Geschäftsführerin, allerdings in zweiter Reihe, und stellvertretende Fraktionsvorsitzende. Bas ist eine soziale Aufsteigerin. Sie hat Fachabitur gemacht und als Bürogehilfin und Sachbearbeiterin gearbeitet. Die Gesundheitspolitikerin ist in den Medien wenig präsent. In der Öffentlichkeit gilt ihre Nominierung als Überraschung.

In ihrem Landesverband Nordrhein-Westfalen ist das anders. Wiebke Esdar, SPD-Abgeordnete aus Bielefeld und wie Bas Mitglied des linken Parteiflügels, schätzt an ihr „Kollegialität und solide Arbeit“. Bas, so Esdar, „stellt sich in den Dienst der Sache und drängelt sich nie in den Vordergrund“. Außerdem verfüge sie über viel Erfahrung im Parlamentsbetrieb.

Auch das war ein Grund, der gegen die Hamburgerin Aydan Özoğuz (54) sprach. Ihr Name war in Medien oft genannt worden. Allerdings gab es in der SPD-Fraktion Vorbehalte. Özoğuz wurde zu Beginn von Olaf Scholz protegiert, trat erst nach Beginn ihrer politischen Karriere in die SPD ein und verfügt über recht wenig Know-how im Bundestag. Sie soll nun Vize-Bundestagspräsidentin werden. Bas passt als Linke zudem besser zu den Mehrheitsverhältnissen in der neuen SPD-Fraktion. Dort ist die PL, die Parlamentarische Linke, deutlich gestärkt.

Ralf Stegner, SPD-Bundestagsabgeordneter, lobt Bas als „erfahrene Politikerin, die auch bei anderen Fraktionen respektiert“ sei. Axel Schäfer, SPD-Mann aus Bochum, hat nach eigenem Bekunden schon am Sonntag gewusst, dass es auf die Duisburgerin hinauslaufen wird. „Sie kann ausgleichen“, so Schäfer.

Glaubwürdig überzeugter Parlamentarier

Das Bild der Parlamentspräsidenten sei von starken Figuren wie Norbert Lammert und Wolfgang Schäuble geprägt worden. Allerdings seien diese beiden schillernden Präsidenten an der Wahlrechtsreform gescheitert, die ein Torso blieb. Für diese Aufgabe, die oben auf der Tagesordnung steht, sei die gut vernetzte Bas geeignet. Bas werde, so Schäfer, auch anders als Rita Süssmuth, die Kohl 1988 als Ministerin loswerden wollte, nicht nach oben weggelobt.

Alle in der Fraktion, auch Bärbel Bas, hätten Mützenich dieses Amt gegönnt

Wiebke Esdar, SPD-Abgeordnete

Das Problem der SPD war: Rolf Mützenich (62), Fraktionschef, wäre sehr gern Bundestagspräsident geworden. Mützenich bezeichnet sich selbst glaubwürdig als überzeugten Parlamentarier. Ein Job als Minister, das übliche Karriereziel, interessiert ihn nicht besonders. Das Amt des Bundestagspräsidenten umso mehr.

Es ist formal das zweithöchste Amt im Staate und die Schlüsselstelle im parlamentarischen Betrieb. Die SPD-Abgeordnete Wiebke Esdar sagt: „Alle in der Fraktion, auch Bärbel Bas, hätten Rolf Mützenich dieses Amt gegönnt. Aber die Glaubwürdigkeit der SPD ist mehr wert als persönliche Ziele.“

Denn das Bundestagspräsidium, in das die SPD nun zwei Frauen schickt, ist Teil eines größeren Personal­tableaus. Die SPD hätte, wenn Mützenich das Amt bekommen hätte, alle zentralen Jobs mit Männern besetzt. Olaf Scholz soll Bundeskanzler werden, Frank-Walter Steinmeier Bundespräsident bleiben. Als Nachfolger von Mützenich wäre der Niedersachse Matthias Miersch gesetzt gewesen.

Steinmeier opfern? Eine abenteuerliche Vorstellung

Zum Internationalen Frauentag am 8. März 2021 hatte die SPD erklärt: Weil Frauen in der Parlamenten noch immer unterrepräsentiert sind, „brauchen wir Paritätsgesetze für den ­Bundestag, die Länder und Kommunen“. Ein Gruppenbild ohne Dame hätte dieser Forderung Hohn gesprochen. Über diese Möglichkeit wurde zwar in Medien spekuliert, aber sie war, glaubt man SPD-Abgeordneten, nie im Topf.

Mützenich als Bundestagspräsidenten zu installieren hätte daher für die SPD eine unschöne Folge gehabt. 2022 steht die Neuwahl eines ­Bundespräsidenten an. Steinmeier hat schon lange angekündigt, eine zweite Amtszeit anzustreben. Das wäre damit faktisch vom Tisch gewesen. Der Ruf nach einer Frau im Schloss Bellevue wäre unüberhörbar geworden.

Mit Mützenich als Bundestagspräsidenten hätte die SPD ihren eigenen Bundespräsidenten abgeschossen. „Eine abenteuerliche Vorstellung“, so ein SPD-Linker. In diesem Fall wären die Aktien der Grünen Katrin Göring-Eckardt gestiegen, die, so schwarz-grüne Planspiele aus dem Frühjahr 2021, als erste Bundespräsidentin von Grünen und Union hätte ins Amt gehoben werden können. Das Rennen um die Mehrheiten in der Bundesversammlung ist zwar noch nicht entschieden. Aber die SPD hat die Weichen in Richtung Steinmeier – und gegen eine schwarz-grüne Kandidatin gestellt.

Deshalb war Mützenichs Rückzug naheliegend. Und es gibt noch einen Grund. Der SPD-Linke Mützenich ist als Fraktionschef allgemein akzeptiert. Er führt ausgleichend, aber nicht ohne machtpolitische Handschrift. Schon vor Beginn der Ampel-Koalitionsverhandlungen zeichnet sich ab, dass die Ampel-Regierung spannungsreich wird. Der Job des Fraktionschefs der führenden Regierungspartei ist da zentral.

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