SPD-Politiker Stegner: "Schäubles Kalkül ist schäbig"
Schleswig-Holsteins Innenminister Stegner über Absichten von Bundesinnenminister Schäuble, Online-Durchsuchungen und das Monarchische an Otto Schily.
taz: Herr Stegner, haben Sie in der Urlaubszeit Wolfgang Schäuble vermisst?
Ralf Stegner: Nein, vermissen würde ich nicht sagen. Aber ich finde es schon intellektuell anregend, sich mit ihm auseinanderzusetzen.
Onlineuntersuchung: Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble wünscht sich, dass Ermittler des Bundeskriminalamts heimlich Computer ausspähen dürfen. Am Freitag berät eine Arbeitsgruppe der Koalition unter Leitung von Innenstaatssekretär August Haning die Reform des BKA-Gesetzes, in dem Schäuble gern Onlinedurchsuchungen verankern würde. BKA-Chef Jörg Ziercke nennt den Streit über die Maßnahme im aktuellen Stern eine "Angstmacher-Diskussion". Es gehe nur um fünf bis zehn Maßnahmen pro Jahr. Am 10. Oktober verhandelt das Bundesverfassungsgericht über ein nordrhein-westfälisches Gesetz, das dem Landesverfassungsschutz heimliche Onlinedurchsuchungen erlaubt.
Schäubles Gegenüber: Bundesjustizministerin Brigitte Zypries und die SPD-Bundestagsfraktion stehen Onlinedurchsuchungen skeptisch gegenüber. Der BKA-Reform müssen auch die Länder zustimmen. Die SPD stellt in 5 von 16 Ländern den Innenminister. Ihr Sprecher ist Ralf Stegner aus Schleswig-Holstein. Er ist 47 Jahre alt, promovierter Politikwissenschaftler, Vorsitzender der schleswig-holsteinischen Sozialdemokraten und Mitglied des Bundesvorstandes.
Sie freuen sich jedes Mal, wenn er einen neuen Antiterrorvorschlag macht und Sie sich als Verfassungshüter profilieren können, nicht wahr?
Was heißt freuen? Herr Schäuble ist der Profi der CDU im Bundeskabinett. Wenn so einer Vorschläge macht, die keine Realisierungschance haben, muss man natürlich nach dem Motiv fragen. Ich komme da auf ein Motiv, über das man sich nicht freuen kann. Irgendwann wirds hier einen Anschlag geben, und er kann hinterher sagen: "Hätte mich die SPD nicht gehindert, wäre das nicht passiert." Ein Kalkül, das einen Anschlag einbezieht, ist kein intellektuelles Spiel, sondern schäbig. Und für die SPD hochgefährlich.
Rechnen Sie denn mit einem Anschlag?
Dafür spricht leider schon die statistische Wahrscheinlichkeit. In einem freien Land kann es keine absolute Sicherheit geben.
Wie sehr haben Sie Angst vor der Situation, dass es Tote gibt und die SPD beschuldigt wird, nicht alles getan zu haben?
Man muss wissen, dass wir nach einem Anschlag eine Phase der kollektiven Unvernunft haben werden. In der Politik und in den Medien. Selbst für die taz würde ich nicht die Hand ins Feuer legen. Es wird eine Sicherheitsdiskussion geben, in der nicht mehr gefragt wird: Nützt das was? Wer in dem Moment zu viele Fragen stellt, steht als vaterlandsloser Geselle da. Und die Angst vor dem Vorwurf, vaterlandslose Gesellen zu sein, ist in der SPD traditionell verbreitet.
Vielleicht stellt Schäuble auch Extremforderungen, damit die SPD überhaupt etwas zum Ablehnen hat. Bei den meisten Antiterrormaßnahmen machen Sie schließlich mit.
Wir diskutieren alle Vorschläge und prüfen sie nach denselben Maßstäben: Sind sie notwendig? Sind sie praktikabel? Sind sie verfassungskonform? Viele von Schäubles Ideen verletzten mindestens eins dieser Kriterien, manche mehrere.
Wenden Sie die Maßstäbe doch mal auf den Plan an, dass das Bundeskriminalamt heimlich und online Computer ausspähen darf!
Erstens: Erforderlichkeit. Ich bezweifle, dass wir damit wirklich Terroristen aufspüren. Oder wollen wir auf diese Weise senile Pornografen finden? Damit, dass Onlinedurchsuchungen der Beweissicherung dienen, kann mir niemand kommen. Richterlich angeordnete Hausdurchsuchungen mit Computerbeschlagnahme gibt es schließlich jetzt schon. Und da kommt die Polizei nicht mit Blaulicht und Sirene. Zweitens: Umsetzbarkeit. Da muss ich mit vielen zweifelnden Fachleuten sagen: Terroristen sind doch nicht blöd. Die setzen sich ins Internetcafé. Drittens: Verfassungsmäßigkeit. Da möchte ich erst mal sehen, was die Richter in Karlsruhe zu dem Gesetz zu Onlinedurchsuchungen sagen, das die schwarz-gelbe Koalition in Düsseldorf beschlossen hat. Nach jetzigem Erkenntnisstand sehe ich nicht, dass die SPD zustimmen kann.
Seit dem Jahr 2005 haben die deutschen Geheimdienste laut Schäuble in weniger als zwölf Fällen heimlich Privatcomputer durchsucht. Ist es in Wirklichkeit eine symbolische Debatte, da es eigentlich um wenige Fälle geht?
Überhaupt nicht. Anders als beim Abhören von Telefongesprächen reden wir nicht über eine Maßnahme gegen konkret Verdächtigte, sondern auch über die Suche nach Verdächtigen. Flächendeckendes Ausspähen ohne konkrete Anhaltspunkte richtet gesellschaftspolitisch Flurschaden an. Beispielsweise könnte ein Journalist, der in diesem Milieu bestimmte Dinge recherchiert, ins Visier solcher Maßnahmen geraten.
Aber sonst stört Sie nicht, dass das BKA die gleichen Kompetenzen bekommen soll wie die Länderpolizeien. Künftig sollen die Bundesbeamten nicht nur Straftäter verfolgen dürfen, sondern auch Verbrechen vorbeugen.
Dagegen habe ich nichts, Zuständigkeitsdebatten überzeugen die Bürger nicht. Wir arbeiten hervorragend mit dem Bundeskriminalamt, mit der Bundespolizei und der Generalbundesanwältin zusammen. Als letzten Sommer der mutmaßliche Kofferbomber in Kiel verhaftet wurde, gab es kein Kompetenzgerangel.
Die Länderpolizisten werden sich nicht über die Bundesbeamten ärgern?
Ich mache mir da nicht so viele Sorgen. Wir hatten eher schon das gegenteilige Problem, im Vorfeld der Festnahme des mutmaßlichen Terrorhelfers, gegen den gerade in Schleswig der Prozess läuft. Den hatten wir mit dem Verfassungsschutz beobachtet, und dann nahm das Formen an, die die Möglichkeiten des Landes zu übersteigen drohten. Als wir dann beim Bundeskriminalamt anfragten, gab es dort wegen der WM-Vorbereitung und so weiter Engpässe, sodass wir nachdrücklich bleiben mussten, aber letztlich hat das BKA den Fall übernommen.
Wenn also demnächst die Länder zum BKA-Gesetz Stellung nehmen müssen, werden Sie bis auf die Onlinedurchsuchung einverstanden sein?
So einen Blankoscheck stelle ich nicht aus. Ich kenne den Entwurf ja noch gar nicht. Wer weiß, was der Kollege Schäuble da noch reinschreibt.
Was halten Sie von der Idee, das Antiterrorstrafrecht zu verschärfen? Dass sich zum Beispiel strafbar macht, wer Bombenbastelanleitungen aus dem Internet herunterlädt?
Da bin ich äußerst skeptisch. Ich fürchte, dass so etwas nichts nützen würde, hätte aber zum Beispiel keine Probleme damit, es unter Strafe zu stellen, wenn jemand ein Terrorausbildungslager besucht hat. Das ist ja kein Kultururlaub.
Wie soll das so definiert werden, dass man Schießübungen in einem Terrorcamp von Schießübungen in einem Jägercamp unterscheiden kann?
Wie sich das rechtsstaatlich solide fassen lässt, muss man sehen. Ich bin froh, dass die Bundesjustizministerin eine Sozialdemokratin ist. Die ist an solchen Entwürfen direkt beteiligt. Wenn es nicht verfassungskonform geht, darf man das nicht machen, aber vom Ziel her möchte ich die Teilnahme an Terrorausbildungen unterbinden.
Vor einem Jahr haben Sie gesagt: "Die SPD darf nicht nur danebenstehen und nachdenklich den Kopf wiegen." Genau das tun Sie selbst jetzt.
Nein. Die SPD wird klar Position beziehen. Ich sehe zum Beispiel keine Notwendigkeit, das Grundgesetz zu ändern. Nicht für Onlinedurchsuchungen und auch nicht, um entführte Flugzeuge abschießen zu können. Was ist das für ein Unfug! Wer Gesetze für Extremfälle macht, schafft Extremgesetze. Ich empfehle als Vorbild den Innensenator bei der Hamburger Sturmflut oder den Kanzler von Mogadischu 1977, Helmut Schmidt. Oder die Vorschläge zur Verhaftung ohne Grund. Das führt in Untiefen hinein. So etwas hieß früher in Deutschland Schutzhaft.
Sie polemisieren. Schäuble will ja niemanden "ohne Grund" festsetzen.
Wenn ich Gefährder habe, muss ich doch etwas gegen sie in der Hand haben, und dann gibt es ein Strafverfahren. Wenn nicht, muss ich sie eben überwachen, um solche Anhaltspunkte zu finden und Gefahrenabwehr zu praktizieren. Dann darf ich aber keine Polizeistellen abbauen, wie das viele Unionskollegen in ihren Ländern tun.
Die Idee zur "Sicherungshaft" von Gefährdern, die man nicht abschieben kann, hatte ursprünglich Otto Schily.
Ich finde das trotzdem falsch. Nach dem 11. September 2001 haben wir Maßnahmen mitbeschlossen, die auch für die SPD schwierig waren. Otto Schily hat uns an den Rand des politisch für die SPD Verträglichen geführt. Zum Beispiel die Forderung nach Verhaftungen ohne Grund. Das geht nicht. Aber die Antiterrordatei oder das gemeinsame Terrorabwehrzentrum von Polizei und Verfassungsschutz sind sinnvoll. Da muss doch jeder sagen: Die SPD hat viel für die innere Sicherheit getan.
Wird die Sicherheitspolitik der SPD neben Schäuble überhaupt wahrgenommen?
Wir müssen die Gegenposition offensiver darstellen. Die Innenpolitiker der Partei müssen sich noch besser abstimmen. Neben Otto Schily war kein Platz. Entsprechend groß ist die Lücke.
Sie mochten Schily nicht?
Otto Schily war sehr erfolgreich für die SPD, aber das Monarchische an ihm hat meine Sympathie noch nie gehabt. Als ich von der Finanzministerkonferenz zur Innenministerkonferenz kam, habe ich die Kollegen gefragt: Warum lasst ihr euch diesen Umgang von einem Bundesminister gefallen, der Gast der IMK ist? Dafür hat er es aber der CDU schwer gemacht. Jetzt muss die sozialdemokratische Innenpolitik wieder besetzt und auch personifiziert werden.
Und da stellen Sie sich selbstlos zur Verfügung.
Ich versuche der SPD-Innenpolitik als Sprecher der Innenminister und auch im Bundesvorstand Profil zu geben. Wir dürfen das Feld nicht der CDU überlassen, obwohl wir derzeit nur wenige SPD-Innenminister sind. Es gibt bei der Union neben Wolfgang Schäuble ja noch ein paar Kollegen, die öffentlich mit Profil wahrgenommen werden, wie der Nochinnenminister Beckstein, der hessische Kollegen Bouffier, Herr Schönbohm, na ja, und auf eine sehr eigenwillige Art auch Herr Schünemann aus Niedersachsen.
Aber Sie wollen der Anti-Schäuble werden?
Das wäre mir zu defensiv, und das müssen andere beurteilen. Aber ich trage meinen Teil zum SPD-Profil bei.
INTERVIEW: GEORG LÖWISCH
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