SPD-Kanzlerkandidat im Wahlkampf: Steinmeier beißt noch nicht
Im Hessen-Wahlkampf präsentiert sich Außenminister Steinmeier in vielen Rollen. Nur Merkel-Kritiker ist er nicht. Er setzt darauf, dass sie von der CDU gequält wird.
Frank-Walter Steinmeiers Lächeln wirkt, als genierte er sich. Gerade ist er "als künftiger Kanzler der Bundesrepublik Deutschland" vorgestellt worden. Klar, jeder Bewerber tut in einem Wahlkampf so, als hätte er das Amt schon, für das er sich bewirbt. Mehr Kanzler als Kandidat muss er die nächsten Monate sein. Aber der Sozialdemokrat ist diese Schummelei vermutlich nicht so gewohnt, denn der Wahlkampf in Hessen ist der erste, seit er Bewerber für das mächtigste Amt im Staat geworden ist.
Die Stadthalle von Baunatal ist ein guter Ort für diese Premiere. Nordhessen ist eine sozialdemokratische Hochburg. Die Schlipsträger-Sozis hier stellen Landräte und Bürgermeister. Manfred Schaub, der Steinmeier vorgestellt hat, regiert Baunatal und ist Chef des Parteibezirks. Er hat es abgelehnt, Spitzenkandidat der durchgerüttelten Partei für die Landtagswahl zu werden, und so steht jetzt neben ihm Thorsten Schäfer-Gümbel, der sich auch schon daran gewöhnt hat, als künftiger Ministerpräsident vorgestellt zu werden, was nach Lage der Umfragen ebenso gemogelt ist wie im Fall von Steinmeier.
Man bekommt das Gefühl, dass der Kanzlerkandidat am liebsten als das auftritt, was er schon lange ist: der ernste, nachdenkliche Außenminister. Er sagt, dass Wahlkampf sei, er aber zuerst über den Krieg sprechen wolle, er werde noch in der Nacht in den Nahen Osten aufbrechen: "Wenn wir diese Chance vertun, ist das nicht nur eine Katastrophe für die Menschen in Gaza."
Baunatal ist eine Autostadt. Auf dem Weg vom Bahnhof in Kassel kommt man an einem riesigen blau leuchtenden Volkswagen-Schriftzug vorbei. Unter den 700 Zuschauern, so schätzt ein örtlicher SPD-Mitarbeiter, sind 200 Autoarbeiter. Steinmeier verlangt eine staatliche Umweltprämie für jedes verschrottete Auto und 500 Forschungsmillionen für die Branche. Die Rolle Nummer zwei, die er an diesem Freitagabend gewählt hat, ist Autokanzlerkandidat. "Die Automobilindustrie ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft", verkündet er und die Stimme kratzt genau wie bei Gerhard Schröder.
Bei Schröder in Hannover, Bonn und Berlin war er Spitzenbeamter. Nun möchte er zeigen, dass er kein Technokrat ist. Sondern tief in der SPD-Familie verwurzelt. Sogar in der hessischen. Eigentlich kommt er aus Westfalen, aber er hat in Gießen Jura studiert und in der Hochschulgruppe Politik gemacht.
Gut gelingt Steinmeier seine Aufführung, wenn er einen Erzähl- und Erklärton wählt. Wenn er ernst guckt, gucken die Leute ernst, und wenn er lächelt, lösen sich auch die Züge in den Zuschauergesichtern. Sie reagieren wie auf einen, den sie gern im Wohnzimmer zu Gast hätten. Steinmeier fläzt sich aufs Rednerpult, als säße er im Sessel. "Herzlichen Dank für die Einladung", sagt er. Er komme gern. "Seit ihr so oft wählt, hat man ja auch häufiger die Gelegenheit."
Viele Rollen sind das. Nur eine lässt der Merkel-Herausforderer aus. Er greift die Kanzlerin nicht an. Er könnte das, er heizt ordentlich gegen Roland Koch. Als er auf den Streit über Steuersenkungen in der Union kommt, könnte er auch Merkel schön piesacken. Doch vermutlich setzt er darauf, dass die Union sie schon ausreichend quält. "In diesen Streit zwischen Frau Merkel und Herrn Seehofer mische ich mich nicht ein", sagt er.
Er will Friedensstifter sein und Autobeschützer und Sympathieträger. Einer, der drübersteht inmitten der großen Krise. Der Kanzler. Aber er ist das noch nicht. Sondern Kandidat. Irgendwann wird er deshalb auch attackieren müssen.
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