SPD-Grundsatzprogramm: Kaum Spuren von Schröder
Der Entwurf für das erste Grundsatzprogramm seit 1989 ist ein Erfolg für die Parteilinke. Anstatt von Schröders "neuer Mitte" ist nun von einer "solidarischen Mehrheit" die Rede.
BERLIN taz
Das neue Grundsatzprogramm der SPD wird nun doch viel sozialdemokratischer und traditionsbewusster ausfallen, als alle bisherigen Entwürfe vorsahen. Dafür hat die Programmkommission am Samstagabend die Grundlage gelegt. Sie beschloss einstimmig ein 36-seitiges Programmpapier, das den bisherigen "Bremer Programmentwurf" radikal kürzte und politisch zuspitzte. Damit nahm die SPD die vorletzte Hürde auf ihrem Weg zu einem neuen Grundsatzprogramm. Der Parteitag Ende Oktober in Hamburg wird es endgültig verabschieden.
"Das ist ein gelungener Programmentwurf", sagte der SPD-Vorsitzende Kurt Beck bei der Vorstellung des Papiers am Sonntag in Berlin. Die deutlichen Veränderungen gegenüber dem fast doppelt so langen "Bremer Entwurf" wollte er zwar nicht als "Bruch" verstanden wissen, aber er räumte ein, dass die Ziele der Sozialdemokratie erst mit dem neuen Vorschlag "klar" und "prägnant" herausgearbeitet worden seien.
So habe er sich persönlich dafür eingesetzt, dass der Begriff des "demokratischen Sozialismus" an herausgehobener Stelle des Programms auftaucht. "Wir haben keinen Grund, uns von unserer Vergangenheit zu distanzieren", sagte Beck, "nur weil andere den Begriff des 'Sozialismus' diskreditiert haben." Im "Bremer Entwurf" tauchte "demokratischer Sozialismus" gut versteckt nur an einer Stelle auf; ansonsten wurde er durch "soziale Demokratie" ersetzt.
Der neue Entwurf plädiert für eine gerechte Wohlstandsverteilung, kritisiert die mit der Globalisierung gewachsenen Ungerechtigkeiten und übt den Schulterschluss mit den Gewerkschaften.
Diejenigen Gruppen der Gesellschaft, an die sich die SPD mit ihrem neuen Programm richtet, bezeichnete Beck als "solidarische Mehrheit". Das soll sozusagen die ursozialdemokratische Version von Gerhard Schröders "neuer Mitte" sein. Er betrachte die "solidarische Mehrheit" nicht als Abkehr von der "neuen Mitte", sagte Beck. Der neue Begriff sei vielmehr Ausdruck dafür, dass sich die Welt in den vergangenen zehn Jahren tiefgreifend verändert habe. Die soziale Unsicherheit treffe mittlerweile auch Gruppen, die damals noch auf der sicheren Seite standen. Selbst viele Leistungsstarke würden heute begreifen, dass eine Gesellschaft nicht auseinanderfallen dürfe.
Das neue Programm, das der SPD-Vorsitzende mit wohlklingenden Worten umschreibt, ist in Wahrheit eine Niederlage der Sozialdemokraten, die sich im Sinne von Gerhard Schröder und seiner Agenda 2010 als "Reformer" begreifen: Außenminister Frank-Walter Steinmeier, Finanzminister Peer Steinbrück, Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck, viele jüngere Politiker des "Netzwerker"-Flügels. Der "Bremer Entwurf" trug noch deutlich ihre Handschrift. Das neue Programm ist geprägt von Kurt Beck und der Parteilinken Andrea Nahles.
Vor allem Nahles, die auf dem Hamburger Parteitag zur stellvertretenden SPD-Vorsitzenden gewählt werden soll, ist für die Sozialdemokratisierung des Programms verantwortlich. Gemeinsam mit Generalsekretär Hubertus Heil und Wolfgang Thierse, früher mal Chef der Programmkommission, schrieb sie die Neufassung.
Besonders die Idee des "vorsorgenden Sozialstaates", mit der die selbsternannten Modernisierer um Platzeck und Steinbrück der SPD ihren Sozialkonservatismus austreiben wollten, ist jetzt inhaltlich fundierter beschrieben. "Der vorsorgende Sozialstaat bekämpft Armut und befähigt Menschen, ihr Leben selbstbestimmt zu meistern", heißt es in dem neuen Programm. Seine zentralen Ziele seien "Sicherheit, Teilhabe und Emanzipation". Sein Anspruch: "Je früher, individueller und wirksamer das Prinzip der Vorsorge praktiziert wird, desto besser ist der Sozialstaat in der Lage, die großen Lebensrisiken abzusichern."
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