SPD-Buch: Die Drei von Schröders Tankstelle
Platzeck, Steinbrück und Steinmeier fordern in einem Buch eine Fortsetzung des Agenda-2010-Kurses - ein Seitenhieb gegen SPD-Chef Beck.
Dieses Buch wird es nicht auf die Spiegel-Bestsellerliste schaffen. Es heißt "Auf der Höhe der Zeit", ist 344 Seiten dick, seine Herausgeber sind Matthias Platzeck, Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier. Ein typisches Politikerbuch. Zum Lesen nicht unbedingt zu empfehlen.
Trotzdem erregt das Buch Aufmerksamkeit, zumindest im politischen Hauptstadtbetrieb. Am Montag wird es offiziell vorgestellt, der frühere SPD-Chef Hans-Jochen Vogel hält die Einführungsrede. Der Auflauf dürfte entsprechend groß sein. Der brandenburgische Ministerpräsident Platzeck, Finanzminister Steinbrück sowie Außenminister Steinmeier präsentieren sich der Öffentlichkeit dann zum ersten Mal als sozialdemokratisches Trio. Was sie im Gepäck haben, verstehen sie als eine Art Fibel der Reform-SPD. Als ihren Ahnherrn rufen sie Altkanzler Gerhard Schröder auf.
So etwas erweckt natürlich Argwohn - zuallererst deswegen, weil der nominell wichtigste Sozialdemokrat an diesem Buch nicht mitgearbeitet hat: SPD-Chef Kurt Beck. Und der zweitwichtigste Sozi auch nicht: Vizekanzler Franz Müntefering. Dieser Argwohn wird nicht unbedingt kleiner dadurch, dass Platzeck versichert, das Buch sei "gegen niemanden gerichtet". Auch Steinbrücks Hinweis, dass "keine strategische Absicht" dahinter stecke, nimmt dem Vorgang nicht die Spannung.
Die drei Herausgeber sind ja keine blutigen Anfänger. Der eine (Platzeck) war ein Jahr lang selbst SPD-Vorsitzender. Die beiden anderen werden von den Medien immer mal wieder ins Spiel gebracht, wenn nach einem geeigneten SPD-Kanzlerkandidaten gesucht wird - für den Fall, dass Beck nicht will, kann oder darf. Wer also eins und eins zusammenzählen kann, der begreift, dass es hier um mehr als nur ein Buch geht. Ein Seitenhieb gegen Beck ist das Mindeste, was als kalkulierter Nebeneffekt gesehen werden darf.
Vordergründig geht es den dreien darum, die Programmdebatte der SPD, die Beck ins wohlige Sowohl-als-auch geführt hat, wieder zuzuspitzen. In zwei Monaten soll das neue Grundsatzprogramm auf dem Parteitag in Hamburg verabschiedet werden. Also haben Platzeck, Steinbrück und Steinmeier ein gemeinsames Einleitungskapitel für ihr Buch verfasst. Darin begründen sie, warum sich die SPD im 21. Jahrhundert auf ihre ursprünglichen Ideen besinnen müsse.
Dafür dürfe die SPD nicht nur eine Gerechtigkeitspartei, sondern müsse auch eine Wirtschaftspartei sein, schreiben sie. Der alte, "überkommene" Sozialstaat tauge nicht mehr für dieses Modell. Ein "Paradigmenwechsel" sei "überfällig". Effizienter und zugleich gerechter sei der "vorsorgende Sozialstaat". Schröders Reformkurs sei "ein guter Anfang" gewesen. Er habe die SPD "wieder auf Augenhöhe mit der Wirklichkeit" gebracht. Diesen Weg müsse die Partei "entschlossen" weitergehen.
Diese Melodie wird in vielen der anderen 58 Buchbeiträge aufgenommen. Geschrieben sind sie von Dritte-Weg-Theoretikern wie Anthony Giddens, früheren sozialdemokratischen Regierungschefs wie Poul Nyrup Rasmussen aus Dänemark und zahlreichen SPD-Politikern. Letztere gehören auffallend oft zur Strömung der jungen, pragmatischen "Netzwerker".
Das verleiht dem Buch zusätzlich Brisanz. Mit Hilfe der "Netzwerker" versuchen Platzeck, Steinbrück und Steinmeier, ein neues Kraftzentrum in der SPD zu etablieren. Unterschätzt werden darf das schon deswegen nicht, weil die drei einen Kreis kluger Berater um sich geschart haben. Sie sind auch die eigentlichen Ideengeber des Buches. Den Text ihrer Chefs haben sie geschrieben. Zu diesem Kreis gehören zuallererst die Platzeck-Boys aus Potsdam: SPD-Generalsekretär Klaus Ness, Fraktionsgeschäftsführer Thomas Kralinski und Tobias Dürr, der "Denker" in Platzecks Staatskanzlei. Sie wiederum sind gut vernetzt mit Stephan Steinlein und Ulrich Deupmann, Büroleiter bzw. Redenschreiber von Steinmeier, sowie mit Heiko Geuer, Büroleiter von Steinbrück.
Beck hätte weniger Probleme, könnte er sich in Berlin auf ein ähnliches Umfeld stützen. Aber auch so wird der SPD-Chef wissen, wie er das Buch der drei Konkurrenten zu verstehen hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen