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SPANNUNGSFELD NORD-SÜDDie unsichtbaren Hände

Die zentrale Rolle der Frauen für die Überlebenssicherung in der Dritten Welt wird inzwischen von derEntwicklungspolitik anerkannt. Dennoch ist sie wenig mehr als „Frauenförderpläne“ wert.  ■ VON CLAUDIA VON BRAUNMÜHL

Zwei Männer schreiben über makroökonomische Tatbestände, die Verschuldung, das Agrobusineß. Der eine erwähnt einmal kurz den Kampf ums Überleben, der auf Frauenschultern ruht. Der andere stößt auf der Suche nach der Genesis des Agrobusineß auf den noch nicht entfremdeten Bauern. „Er, seine Familie, seine Haustiere ... seine Welt.“

Meine Herren, könnt Ihr noch immer nicht makroökonomische Vorgänge in sozialen Dimensionen buchstabieren und soziale Vorgänge in geschlechtsspezifischen Dimensionen?

Was den Bauern und seine Familie betrifft, so kommt er in mehr als 30 Prozent der Fälle als Bäuerin vor mit ihrer Familie, für die sie ganz alleine sorgen muß. Überhaupt werden nach wie vor in Afrika 80 Prozent, in Asien 69 Prozent, in Lateinamerika 40 Prozent der Nahrungsmittel von Frauen angebaut. Diese Optik ist an der Krise der Nahrungsmittelversorgung im Süden nicht weniger schuld als das Agrobusineß.

Da kommen die Kolonialherren und wollen Geld aus und von ihren Untertanen. Sie stecken die Männer als Lohnarbeiter in die Plantagen und erheben Steuern. Auf den Plantagen wird für den Export produziert, auf den Feldern der Männer auch – cash crops für den Weltmarkt. Später kommen die Entwicklungsexperten, erst die harten – gesteigerter output – dann die sanften – ökofreundlicher Anbau. Aber immer geben sie ihre technischen Segnungen in Männerhand. Dann kommt der Weltmarkt, und die Preise rasseln dorthin, wo sie vor 50 Jahren waren. Hunger macht sich breit. Da schauen die internationalen Experten sich für einen Moment verunsichert um, und ihr Blick fällt ein wenig gerührt auf die Hände der Frauen, die weiter, wie vor Jahrhunderten schon, die Hacke schwingen und immer kleinteiligeren, zerstückelten, kargen Böden etwas Eßbares zu entlocken suchen. Den Frauen bot keiner bessere Technologien an; sie haben ja auch nur „mitgeholfen“. Dann schauen die Experten gleich wieder weg und helfen den Männern, den Preisverfall durch noch mehr Produktion für den Weltmarkt vielleicht doch wettzumachen, und regen bei den nächsten Regierungsverhandlungen eine Aufstockung des Frauenförderanteils an. Sagen wir, denn es handelt sich um eine freundliche Schilderung, auf drei Prozent der gesamten Entwicklungshilfe für das Land. Für einkommenschaffende Maßnahmen, denn die Frauen müssen ja mithelfen, den cash-Ausfall ihrer Männer aufzufangen.

Der kurze Hinweis auf die Überlebenssicherung der Frauen, eine Fußnote zur Haupt- und Staatsaktion der Verschuldung, entspricht das den realen Proportionen? Unter dem Titel Anpassung mit menschlichem Gesicht wies die Unicef 1987 nach, wie die Härten der orthodoxen Strukturanpassung vor allem die Frauen treffen. Ihre meist unteren Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst fallen als erste dem Rotstift zum Opfer, ebenso wie die in der von Importliberalisierung und Abwertung bedrängten Kleinindustrie. Die Lebenshaltungskosten sind dramatisch gestiegen, die soziale Infrastruktur, Schulen, Universitäten, Gesundheitswesen, administrative Dienstleistungen, öffentlicher Transport etc. wurden dem Verfall anheimgegeben, dafür aber mit oft unerschwinglichen Preisen belegt.

Es sind in der Tat vor allem die Frauen, denen die Last der Überlebenssicherung überantwortet wird. Sie sind mehr als andere am euphorisch Selbsthilfe genannten Auffangen des Ausfalls vormals staatlich bereitgestellter Leistungen der materiellen und sozialen Infrastruktur beteiligt. Das heißt dann Selbsthilfe der Gemeinde, des Stadtteils, aber wenn wir genauer hinsehen, dann schleppen die Frauen die Steine und das Wasser für den Schulbau und schreiben die potentiellen Spender an, um das gekürzte Drittel des Krankenhausbudgets aufzubringen; sie tun es „ehrenamtlich“, versteht sich.

Die zentrale Rolle der Frauen an der Basis der Überlebenssicherung ist mittlerweile zu einer weitverbreiteten Kenntnis geworden, und so sind auch die entwicklungspolitischen Ansätze der achtziger Jahre stärker um Frauen bemüht. Das ist begrüßenswert, aber kein Grund, die eben angedeuteten Zusammenhänge zu vergessen. Sowenig wie Überlebenssicherung mit Entwicklung zu tun hat, sowenig hat sie mit Emanzipation zu tun. Überlebenssicherung ist eine Last, eine schwere Bürde und Zumutung, die sich bleischwer über alle Hoffnungen, Träume und Wünsche an das Leben legt. Sie ist die Subvention unseres Wohlstandes.

Claudia von Braunmühl war Beauftragte des Deutschen Entwicklungsdienstes in Jamaika und arbeitet heute als unabhängige entwicklungspolitische Gutachterin in Berlin.

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