SPANIEN WILL NACH DER WAHL DAS AUSLÄNDERGESETZ WIEDER ÄNDERN: Integrieren oder marginalisieren
Es ist jämmerlich: Die Parteipolitik hat sich einmal mehr gegen den Sachverstand durchgesetzt. Kurz vor den Wahlen wurde in Spanien ein neues Ausländergesetz verabschiedet. Es gilt als eines der fortschrittlichsten seiner Art. Nicht etwa weil es den legal im Land lebenden Einwandern – bis auf das Wahlrecht – endlich die vollen Bürgerrechte zugesteht. Das ist in anderen EU-Staaten längst gang und gäbe. Keiner käme dort auf die Idee, Ausländern, wie bisher in Spanien, generell das Streik- oder Versammlungsrecht abzusprechen.
Das Neue an diesem Gesetz ist die Möglichkeit der „Regularisierung“, praktisch eine Aufenthaltsgenehmigung für ehedem Illegale. Eine Regelung, die von der Opposition und den Nationalisten gegen die Regierungspartei durchgesetzt wurde. Jetzt wollen die Konservativen, nachdem sie die Wahlen mit absoluter Mehrheit gewonnen haben, das Gesetz wieder verschärfen. Einen „Rufeffekt“ habe die automatische Regulierung. Angesichts der niedrigen Ausländerquote von nur 1,3 Prozent scheint dieser Effekt reine Einbildung zu sein. Dennoch dürfte die Reform der Reform ohne allzu großen politischen Wirbel über die Bühne gehen.
Als das neue Gesetz auf den Weg gebracht wurde, wollten alle Parteien vor den Wahlen ihre Muskeln spielen lassen. Die Sozialisten, die das restriktive Ausländergesetz von 1985 verantworten, wollten ihren progressiven Geist demonstrieren. Die Nationalisten nutzten das Werk, um nach vier Jahren Unterstützung der Regierung am Vorabend der Wahl zu Aznars Volkspartei auf Distanz zu gehen. Und Aznar selbst spielte erst auf fortschrittlich und dialogbereit, indem er die Ausarbeitung des Gesetzes in Auftrag gab. Als die Wahlen näher rückten und auch noch die Pogrome gegen Marokkaner in Südspanien begannen, machte die Regierung Stimmung gegen das Konsenswerk, dem ihr Parteimann zuvor noch zugestimmt hatte.
Die Menschen aus Afrika werden mit oder ohne Regularisierung weiterhin ihr Leben aufs Spiel setzen, um die Meerenge von Gibraltar zu überwinden. Wir Europäer haben die Wahl: die Einwanderer zu integrieren, wie es das neue spanische Gesetz ansatzweise festschreibt, oder sie zu marginalisieren, wie die Reform der Reform dies vorsieht.
Was die Kritiker der automatischen Regularisierung verschweigen: Spaniens Wirtschaft braucht die Illegalen. Wer sonst soll zu Spottlöhnen Obst und Gemüse für den europäischen Esstisch ernten? Wer sonst wäre bereit, bei all denjenigen, die sich trotz schmalen Einkommens gern in der gehobenen Mittelklasse sehen, für einen Hungerlohn den Haushalt zu führen? REINER WANDLER
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