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Archiv-Artikel

SOUNDTRACK

Im an Superlativen und News immer interessierten Popjournalismus liegt es – jetzt, wo die Hamburger Schule weitgehend abgewickelt ist – im Trend, den Tod des „politischen“, oder seien wir bescheiden, „dissidenten“ Pop mit Außenwirkung zu beweinen. Die Heiterkeit müssen also vielleicht aufpassen, dass sie nicht demnächst von einem dieser traurigen Redakteure entdeckt und zum neuen (Post-) Sonstwas-Ding ordentlich hochgejubelt werden. Gewisse Anknüpfungspunkte gäbe es dafür: Die Band klingt nämlich in ihrer scheppernden Gestalt nicht eben selten wie eine – allerdings deutlich weniger von ironisiertem Weltschmerz beseelte – weibliche Version der frühen Tocotronic, während sie gesanglich das schon von Bands wie den Lassie Singers und Britta eingeführte Prinzip des nuschelnden Nicht-Gesangs zum ehernen Prinzip erhebt. Die andere Dame des Abends hat da ganz andere „Probleme“, zum Beispiel dass bei einem Konzert der 1000 Robota die Fans dieser allseits als auch sehr dissident etikettierten Band anlässlich ihres Auftritts reihenweise den Saal verließen, weil zu viel Dissidenz und Abseitigkeit dann wohl auch nicht sein muss. Mary Ocher, aus Israel stammend und in Berlin lebend, hat jedenfalls an beidem einiges zu bieten und muss sich eigentlich nicht auch noch offensiv selbst als „exzentrisch“ einführen, denn das sieht und hört man spätestens, wenn sie ordentlich zurecht gemacht mit Gitarre und Miniverstärker auf der Bühne steht und in einer quäkenden Stimme zu minimalistisch eingedampften Blues und Folk-Derivaten ziemliche Ernsthaftigkeiten präsentiert. Fr, 1. 7., 19 Uhr, Uebel & Gefaehrlich, Feldstraße 66

Irgendwo im Dreiländereck sind 2005 The Lo Fat Orchestra entstanden und wenn man es nicht wüsste, könnte man meinen, es hätten sich da gerade die Richtigen gefunden. In diesem Fall sind diese Richtigen einige Herren, denen man ihre tiefe Verbundenheit mit Surf, Sixties und dem energetischen Indierock etwa der Marke Lemonheads nur zu deutlich anhört und die innerhalb dieses Referenzsystems raue Beat-beeinflusste und ordentlich mit Orgelmelodien gesättigte Tanzmusik entstehen lassen, die vollständig souverän auch auf jede Art von Gitarrenarbeit gleich verzichtet. Wer denkt, da werden Joy Division auf 45 gespielt, da schreiben Boy Division plötzlich eigene Lieder (um sie sauber zu spielen), da haben Yello Punk und Rock’n’Roll entdeckt – der und die hat genau richtig hingehört. Do, 30. 6., ab 19.30 Uhr, Abfahrt jede volle Stunde, MS Claudia, Landungsbrücke 10

Auch Metal ist wieder „in“, diese Musikrichtung, der man viele Jahre lang distanziert bis ablehnend gegenüberstand, weil man sie im Angesicht der popkulturellen Hochkultur, deren Teil man selber war, nur als Tölpelmusik einzustufen wusste. Ob es sich stattdessen jetzt um voll den coolen Kult handelt, kann Bands wie Megadeth indes vollkommen egal sein. Dieser Abkömmling von Metallica und Pionier des Trash-Metal füllt – mit durchaus häufigen Line-up-Wechseln und einer kurzen Unterbrechung zwischen 2002 und 2004 – seit Jahren verlässlich die größeren Hallen und muss sich zudem auch nicht in eine Reihe mit Gruppen gestellt sehen, deren textlicher Horizont kämpfende Monster, Zombies und Satan kaum übersteigt. Ganz im Gegenteil gehören „Megadave“ Moustaines Texte in politischer Hinsicht eher zum Schärfsten, was das Genre zu bieten hat. Und von den Soli wollen wir mal gleich schweigen. Mo, 4. 7., 20 Uhr, Docks, Spielbudenplatz 19

Und zu guter Letzt sind auch Primus wieder da, jene Band, die in den 90er Jahren ganze Heerscharen von Punk und Hardcore untergebutterter Bassisten Mut zufächerte und ihnen ausrichtete, dass es Musik gibt, in der sie nicht nur etwas, sondern einiges, um nicht zu sagen alles zählen. Etwas allgemeiner formuliert zeichnen Primus zumindest mitverantwortlich für die musikalische Ausdifferenzierung des Crossover-Gemischtwarenladens und dessen Anreicherung mit Jazz-und Pschedelic-Elementen. Und: glücklicherweise auch mit Humor und Verwirrung, diesen in jenem Genre in der Regel doch stark unterrepräsentierten Eigenschaften. Nicht zuletzt dies brachte der Band schließlich auch den Ruf ein, eine Art Musik gewordenes Comic darzustellen, das lustig-farbig und in seinem Verlauf immer uneinschätzbar durch die Landschaft geistert. Und das kann man immer wieder gewinnbringend lesen. Mi, 6. 7., 20 Uhr, Große Freiheit 36, ebenda NILS SCHUHMACHER